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Die gesteuerte Jungfrau

September – Dezember 1987  (Der Korken – Der Wein – Die Flasche – Nachdurst)

– Auszug –

Der Wein

Es muss raus, es muss raus, es muss unbedingt raus. Wie lange hab ich nun gesammelt. Warum überhaupt? Niemand will ihn? Den Wein? Weinen? Überweinen? Überkochen?

Ausweinen.

Mein Kopf ist ein Monster. Meine Glieder weiß ich nicht. Vielleicht Kafkas Verwandlung. Ich dröhne – ohne Schmerzen. Das Essen steht vor dem Bett. Nichts will mehr. Voll, ohne zu essen – hungerlos, aber schwach. Denkarbeit. Ich bin nicht mehr da. Ich bin überflüssig. Alles arbeitet von selbst. Ich halte aus. Es ist eine Qual. Ich will nichts – nichts schreiben, will nicht denken, will nicht, will nicht müssen – dieses Müssen ist eine Qual. Gezwungen Fehler begangen zu haben. Klumpen roten Blutes aufzunehmen. Geronnen an vielen Stellen. Mein Kreislauf endet, die Leblosigkeit in jeder Ader spürend – die Worte im Hirn rumdrehend, gleichend, all dieser Vergangenheit, all diesen alten Ramsch in mir – begaffend. Wie ich sie hasse – diese Bücher, all diese Bücher. Beim Gedanken schnürt sich mir die Kehle zu – so leblos, so entsetzlich starr, so stock, so stockend, so platt, so matt, so widerlich – zum Kotzen!

Thomas Mann – du Stocksprache – alles in mir.

Die Schulbrocken unaufgetaut im Unterbewusstsein. Eine Qual – eine Seelenfolter – fremdes Gut in meinem Hirn.

Ausspucken? Wo? Wo nur? Einfach ausspucken? Hinrotzen, hinklotzen meinen Kindern vor die Füße – hinkotzen. Ich habe keine Kinder. Meinen Nachbarn in den Nacken – sie schauen Video. Runterdrücken – draufdrücken – abdrücken – tot. Ich will leben – wer aber hat mich zu diesem Komposthaufen erkoren? All diese Bücher, all diese Reden, alles Gelabere, Gemeckere, gestaubtes Gedankenschlecht – ja, schlecht kann mir dabei werden. Rotzt ihr mir alles vor die Füße, und nun steh ich da. Sinne niemals abtöten können, sehen, riechen, hören, fassen – es ist drin – direkt – es steckt – tief – immer tiefer. Was steckt, das steckt, das stockt, das drückt, das schmerzt – es tötet ab. Ich bin schutzlos. Nichts bleibt unvergessen. Knoten würgen sich in meiner Brust – mein Hirn schaut zu, die ganze Zeit – kein Kind mehr, erwachsen werdend, alles noch einmal, ganz von vorne. Das Herz klopft. Angstgefühle werden wach. Ich beobachte. Ich erfriere. Ich ersticke. Schnelles Atmen bringt den Lauf wieder zum alten – zum Lebenslauf. Bald glaubte ich an einen Todeslauf – um die Wette – niemand, der mich aufhalten konnte, wollte – niemand, der sehen konnte – niemand, der glauben konnte, niemand – alles schlief und sah mir trostlos zu. Zum Schreiben geboren? Zum Leben. Ein Leben. Selbst als Kind hätte ich mir solches nicht erträumt. Ein Kind zwischen Mann und Frau – selbst Frau und doch Mann, selbst Kind und doch Greis. Nichts habe ich vergessen können. Jede Silbe klang in meinen Ohren. Jedes Geräusch zuckte in meinen Augen – all die Töne machten mich blind, mit den Händen die Augen zuhaltend, schreiend, ohne zu atmen – nie wollte ich – nie wollte ich – NIE WOLLTE ICH AUF DIESE WELT!

 

Ich weiß nicht weiter. Da lieg ich nun. Einfach so. Und schreibe. Telegrafenschreiber. Alles notierend. Herzschlag, Puls, Frequenz, Obertöne, schnarchen, schnorcheln, schnauben – heute noch ertrage ich lautes Niesen nicht. Fühlt sich jemand wohl? Wie wohl wohl, wie wollig wohlwollend – jetzt, wo ich schon mal da bin. Wie niedlich. Und die kleinen Pausbäckchen. Und die süßen blauen Augen. Ja, lach doch mal. Was guckt die so ernst – is doch’n Säugling, los lachen – LACHEN!

Ich will aber nicht lachen. Es ekelt mich an hier bei euch in diesem Ekelbeton. Und grabbelt nicht ständig an mir rum. Wenn ich erst mal treten kann, dann – ich kann nicht treten. Die gucken so doof. Ham die Angst? Vor mir? Vor som kleinen Säugling? Bin ich zerbrechlich oder was? Aus Plastik? Hach, diese Unterlage. Widerlich. Und so kalt. Und wie sie gucken. Nur weil ich in die Hose geschissen hab. Ham sie mir doch selbst angezogen, diese Ekelhose, aus Plastik – oder was fürn Matrial? Früher ham se die wenigstens noch selbstgenäht, Baumwolle – wenn überhaupt. Und jetzt, wo ich komme – dann so was – so’n Kitsch, und diese langweiligen Farben. Ja – staunt nur schön. Kein Wunder, dass ich Dünnschiss hab bei diesem Anblick. Hier noch mal und da noch mal, dem Papa ob die Mama und die Fingerchen, ganz dem Vata und nix von die Muta, na vleicht die Schuhe – nee, auch nix selbstgemacht, alles ausse Lade – a bla bla bla bla, duddelduddeldudell, maulibaulischauliwauli – e

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es leckt!

 

Spucken sie so’m armen Würmchen auch noch ins Gesicht. Ferkel! Aber scheißen – da gucken se doof. Selber tun se nich scheißen – oder wie? Meine Fresse noch mal. Wenn ich erst – aber’s geht nicht. Alles so schlapp. Noch nich mal blärren hab ich Lust. Wozu auch. Jemand da? Seh’ niemand. Niemand da. Niemand. Is eben niemand. Na gut. Mal sehen, wie’s kommt. Zu leise wohl. Nich schrill genug. Schrille Stimme, obwohl Mädchen von Gesang – will nich – is zu laut – die Straße. 
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oh Gott.Wie das klingt. Ekelhaft. Is alles nich.

Nix is. Nix is. Ãœberhaupt nix. Nur dunkel. Und Stille

und
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mein Atem – mein Atem – mein Atem – schneller, schneller – immer schneller,

schneller schneller schneller schneller
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                                                                                            nee, nun is gut.

Pianoissimo – da steht eins. Klavier. Wie doof. Rülps. Tscha. Tjaaa, n bisschen Staub putzen könnten se auch mal und dann dieses Vergilbte. Eklig. Aber scheißen wa – das darfich nich. Und dann so’n Dreck hier, und die Regale – schief und selbstgebaut und durchhängen tun se – schämen sich nich mal – warum schämen die sich nich – mir so’n klotzig Zeug, klotz, klotzdi – Klotzig – kotzig – Kotzarg – Kockelckeckichkackikockig – KACK

– ECHT KACK – ECHT KACK KACK –

Kackfarben. Wohl kein Geld gehabt füre neue Farben, wa?! Ãœberhaupt. Wo isn mein Bruder? Der hatn Tretauto und is draußen – und ich? Wieso nichich? Wiesonich? Zu klein – oder was? Wieson zu klein – allein – aber klein aber nich zu klein aber Tretauto nich – nie versteh ich diese EL – Logik – Logissimo. Piätissimo – poplissimo, poplissiti, popliziti – popelditong im popelstonzong dem Schonsson dazu und popelu im Nu – Schnokelwetzfotz – Tschuldi – furz – Ahem – tut män nich, wa?!

Aber vollstänkern, das könnter mich – nich?!? Bilder kannich nich. Malen sowieso nich – stinken auch, aber dann erst mein Bauch – der is leer – aber nix will rein – alles zu – will nix – will nix von euch –

nix – und damit basta!

 

Von denen will ich sowieso nix.

 

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© 2002 Jutta Riedel-Henck