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Die Einsamkeit des Wortes

 

Wenn du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich [...] stehen, wie vor dem Eingang zur Hölle.

Franz Kafka

 

»Du sprichst mir aus der Seele« – »Was du schreibst, hätte auch ich schreiben können« – aber ...

Die Beziehung zwischen Schriftsteller und Leser ist geprägt von Zuneigung und Ablehnung, von Kritik und Lob, Hingabe und Abwendung, Huldigung und Erniedrigung – einem scheinbar ewigen Ringen zwischen Leben und Tod.

Ich habe mich immer wieder fragen müssen, warum meine Werke bei den wenigen Lesern, die sie überhaupt erreicht haben, so heftige Reaktionen zwischen beiden Extremen auslösten. Im Laufe der Zeit bin ich dieser Ursache auf den Grund gekommen. Von diesen Erkenntnissen will ich hier berichten.

Seit ich denken und schreiben kann, habe ich das tiefe Bedürfnis, das Wort von seinen irdischen Abhängigkeiten zu befreien und damit mich selbst. Kritik, die ich durch mein Schreiben erfuhr, war zugleich Kritik an meiner Person, wenn mir auch immer wieder nahe gelegt wurde, ich sollte die Kritik an meinen Worten nicht persönlich nehmen. Ist dieses »Persönlichnehmen« eine weibliche, kindische Marotte?

Wenn ich einen Text schreibe, dann ist dies wie die Geburt eines Kindes, das ich durch mich, meine Person, meine Seele ausgetragen habe. Das Neugeborene bedarf meiner Zuwendung und Pflege, meines Schutzes, und es dauert seine Zeit, bis das Kind, das Werk reif für die Welt, die Öffentlichkeit ist, erwachsen und selbständig. Bis dahin habe ich jeden Angriff gegen mein Kind persönlich zu nehmen, da ich als Mutter verantwortlich bin, alles andere wäre Ausdruck von Verwahrlosung, Abschiebung meiner Autorität, Unterwerfung an »Höhergestellte« und damit Selbst-Auflösung in Unberechenbares, das mir jeder Zeit und überall den Tod bedeuten kann, für mich und mein Kind.

Was ich in meiner nächsten Umgebung tagtäglich beobachte und erlebe, deutet darauf hin, dass die meisten Eltern sich ihrer ureigenen Fähigkeit entledigen lassen, als Autorität für ihr Kind gerade zu stehen. Zwar laufen viele Menschen aufrechten Ganges über die Straßen, doch ebenso leicht lassen sie sich von dieser Haltung abbringen, ebenso schnell, wie sie ihre Meinungen ändern, wenn sie einen Angriff erleben, dem sie nicht standhalten mögen oder können.

»Das habe ich nicht böse gemeint«, heißt es z. B. gerne, um von dem, was ein Mensch redend oder schreibend von sich gab, abzulenken. »Das war nur Spaß«, hörte ich erst kürzlich von zwei Mädchen, die meine Tochter mit hässlichen Schimpfwörtern bombardierten.

Das Wort an sich scheint in diesen Fällen ohne Geltung zu sein, die Spielregeln sind aufgehoben, es darf gesprochen werden, was gerade in den Sinn kommt, als seien die Worte reine Musik. Diese Art der Kommunikation läuft darauf hinaus, dass wir uns in Zukunft in allen Fremdsprachen unterhalten können, ohne sie je gelernt zu haben, indem wir einfach nach Lust und Laune nachplappern, was uns phonetisch gerade zu Ohren kommt.

In diesem Falle wäre es unnötig, diesen Text hier weiterzulesen. Und ich könnte mir die Mühe des Schreibens sparen.

Die deutsche Sprache ist gerade bei Jugendlichen durchsetzt von englischen Wörtern und Ausdrücken. »Hi« heißt es da z. B. zur Begrüßung oder »Bye-bye« zum Abschiednehmen. Seit einiger Zeit vernehme ich verstärkt den Ausruf »Oh ooooh« bei Kindern wie Erwachsenen, und alle hier genannten Ausdrücke erinnern mich in ihrem Klang an die Zeit, da ein Baby seine ersten Lautäußerungen von sich gibt.

Ich weiß noch sehr gut, wie ich als Kind englischsprachige Lieder hörte und sie mit Hingabe nachsang, ohne daran zu denken, welche Bedeutung hinter den einzelnen Begriffen steht. Das war mir ganz einfach unwichtig. So sehe ich auch den Umgang mit englischen Vokabeln als Ausdruck einer unterdrückten und verkümmerten Spielfähigkeit in der Lautäußerung, da die Babys zu streng, zu schnell, zu aufdringlich mit den Formen einzelner Wörter konfrontiert wurden, um die Freude am freien Ausdruck ihrer Seele zu verlieren oder gar mit Gewalt ausgetrieben zu bekommen.

Kann z. B. lautes, schrilles Babyschreien zu angsterfüllten oder gar hassgeladenen Reaktionen bei seinem Hörer führen, so wäre anzunehmen, dass lustvolles fröhliches Quietschen und Kreischen heitere Gelassenheit in seiner Umgebung auslöst. Anders meine Beobachtung: »Sei jetzt ruhig!«, ermahnte eine Mutter ihr herzhaft kreischendes Kleinkind und packte es fest mit ihren Händen, woraufhin das Kind zu weinen begann.

Sie kennen es vielleicht: Da sitzen Sie an Ihrer Arbeit, voller Konzentration, in sich gekehrt, und von der Straße hören Sie Kinderlärm. Nun gibt es Menschen, die sich innerlich so verschließen können, dass sie diesen Lärm einfach nicht wahrnehmen, aber auch jene, die einer solchen Ablenkung nicht widerstehen, um aus ihrer Konzentration gerissen zu werden. Auch hier können die Reaktionen unterschiedlicher Art sein: wütend z. B., schimpfend, »Ruhe da draußen, hier wird gearbeitet! Kann man denn niemals in Ruhe arbeiten?!! Saubande!« Oder etwa folgendermaßen: »Ach, mal sehen, was da draußen los ist«, aus dem Fenster schauen, die Gedanken von der Arbeit wenden, sich öffnen für neue Ideen ... »vielleicht sollte ich mir eine Tasse Kaffee oder Tee gönnen« ...

Mir sind beide Reaktionen vertraut, wobei ich dazu tendiere, mich der friedlicheren Variante zu widmen und in meinem Leben zu fördern. Auf diesem Wege habe ich bereits ungeahnte Kräfte entwickelt, Ideen, die mir in der Verschlossenheit der Konzentration nicht zugefallen wären.

Im steten, möglichst lebendigen Wechsel zwischen innerer Einkehr und der Hinwendung zur Außenwelt, Empfängnis und Geburt, Einatmen und Ausatmen, Nehmen und Geben, Zusammenziehung und Entfaltung ... habe ich den Rhythmus als Urgesetz meiner Lebensfähigkeit und Gesundheit lieben und achten gelernt, der seiner Zeit bedarf, welche mir gegeben wird, die mir zufällt, ohne mein Zutun, allein durch die Hingabe an dieses Gesetz der Schöpfung.

Zurück zum Ausgangspunkt dieses Artikels. Die Kritik, die Zuneigung und Abneigung, Liebe und Hass als Antwort auf das, was ich geboren habe in Form von schriftlichen Werken.

Während ich schreibe, lasse ich mich treiben von den Rhythmen meiner Empfindung, meiner inneren Natur ausgerichtet an der äußeren Umgebung, meiner mir zugänglichen Umwelt und ihren Einflüssen. Ich horche nach außen und innen, ich schreibe zunächst für mich, dann gebe ich es fort. Die Reaktionen der Leser sind jedoch selten solch ausgeglichener Natur. Stattdessen erfahre ich in überwiegendem Maße Schweigen, also keine konkrete Reaktion, oder die Reaktionen beziehen sich auf einzelne Wörter oder Sätze, herausgerissen aus dem Zusammenhang, dem Gefüge, dem Rhythmus, als bedürfe es keiner Zeit, keiner Entwicklung, keines Lebens, keines Nehmens und Gebens.

Ein solches Missverhältnis zwischen schöpfenden Künstlern und ihren Mitmenschen ist keine Seltenheit. So gibt es wenige »berühmte«, bekannte, öffentlich geförderte Schriftsteller, Musiker, Maler ... die sich an ein breites Publikum wenden und von diesem scheinbar ebenso breit akzeptiert und gefördert werden: die krasse Aufspaltung von Herrschern in Form Produzierender und Untergebenen in Form der breiten Masse Konsumierender. Ein glückliches Verhältnis sehe ich darin nicht. Stattdessen erscheint mir diese unausgeglichene Art der Kommunikation als Nährboden für Neid und Missgunst, für Hass und Niedertracht, für mörderische Kriege mit grässlichen, lebenszerstörenden Folgen, als Feind der Schöpfung.

Der Ausweg aus diesem unglücklichen Verhältnis liegt nahe: Die Konsumenten haben sich im Gebären zu probieren und aufs Spiel zu setzen, die Produzenten haben diese in ihrer Selbständigkeit zu ermutigen, ihnen freundlich gesonnen zu begegnen wie ein aufgeschlossener, aber standhafter Lehrer und Aufklärer.

Leider vernehme ich eine gegenläufige Tendenz: Jene, die im Umgang mit Sprache, mit Worten gefestigt sind, beharren auf ihrer Macht, ihrem Standpunkt der Konzentration, ohne sich zu öffnen, um an dieser inneren Einkehr zu ersticken, während die Sprachlosen umherirren wie haltlose Suchende, Süchtige, vereinsamte Kinder ohne Eltern, wurzellos, ohne Vorbild und Orientierung an standhaften, aber freundlichen Autoritäten. »Das Volk schreit nach einem Führer« – aber der Führer entpuppt sich als Kind, um die Unerzogenen in den Abgrund zu leiten.

Das Wort gilt nichts mehr. Politiker, Eltern, Lehrer machen Versprechungen, die sie nicht einhalten, um sich alleine für diese Versprechungen loben und huldigen zu lassen. Wer etwas sagt, meint es nicht so, jedes Wort ist gehupft wie gesprungen, auslegbar nach persönlichem Belieben, einer subjektiven Laune, und wenn der so Redende darauf gestoßen wird, sieht er weg und verschließt die Ohren. Der Rhythmus stockt wie das Leben, das Herz bleibt stehen, in sich verkrampft, den Ernst versammelnd, die Konzentration, ohne Gegengewicht, ohne pulsierendem Schlag. Statt das Herz eines jeden Einzelnen in bewegtem Rhythmus schlagen zu lassen, für sich, individuell und ein-sam, sucht die Masse nach einem Welt-Herz, das für sie schlägt, einem Heiligen, der ihnen vor-schlägt, was niemals zu Gesundheit und Wohlbefinden führen kann. Künstler, Politiker, der Papst, Gurus werden geheiligt, »in den Himmel gehoben«, um sich vom eigenen, inneren Leben abzuwenden, die eigene innere Einsamkeit und Einzigartigkeit verleugnend, das eigene Leben aufgebend – bis zu dem Moment, da der Tod naht und der Kampf die Sterbenden, Dahinsiechenden herausfordert, sich zu öffnen ... in hässlichen Kriegen, aus Angst und Furcht vor dem spürbaren Ende des Lebens: Fanatismus und Amoklauf mit all den bekannten Folgen.

Und wer wird diesen Amokläufern zum Opfer? Die Lebendigen, die Wachen, jene, die den Rhythmus in sich zulassen, die sich dem Gesetz der Schöpfung hingeben, um darin aufzugehen, glücklich zu sein.

Der Neid der Sterbenden lässt sie alles Lebendige ermorden, ohne Rücksicht, blind vor Hass und Wut. Und jede Zurückweisung macht sie zur Bestie, jeder Versuch, sich als Lebendiger vor ihnen zu schützen, führt zu einem noch gewaltigeren Schlag.

Die Nazis haben uns dies vorgemacht mit all jenen, die auch ohne Nazi-Titulierung an dem Gemetzel mitwirkten, waren sie nun Partei-Mitglieder oder nicht. Heute sehe ich nichts anderes als eine Variation solcher amoklaufenden mörderischen Hetzer und Hetzerinnen, vor denen ich mich mit aller Hingabe schütze, gegen die ich mich wehre. Die Täter und Täterinnen sind ihre eigenen Opfer, indem sie sich weigern zu leben aus eigener Kraft, mit ihrem eigenen Herzen, dem Rhythmus ihres Lebens.

Die Situation der Gegenwart ist verfahren. Wer kann einen solchen »Karren noch aus dem Dreck ziehen«?

Ist eine Verständigung durch das Wort überhaupt noch möglich und sinnvoll, da das Wort, das Gesetz nichts mehr gilt? Hat es je ein Gesetz gegeben, das wert war und ist zu gelten? Oder müssen wir nicht vielmehr endlich anfangen, das Überlieferte, die Tradition in Frage zu stellen und damit den Umgang mit Wörtern? Sie ernst zu nehmen und gleichzeitig mit ihnen zu spielen, zu experimentieren, ohne gleich von jeder Art der Deutung abzuweichen, sobald die Windrichtung der Massenmeinung dem Sprechenden und Schreibenden ins Gesicht bläst?

Ich habe mir mit meinem Schreiben und Reden viel Schelte, Hass und Ablehnung zugezogen, mehr als Zuneigung. Ich wurde angegriffen, weil ich es wagte, einen Standpunkt einzunehmen fern der überlieferten Wortkonstruktionen. Ich wagte mein Leben und Wirken der Einsamkeit des Wortes zu widmen, ohne einen Anhänger dessen von außen zu verlangen. Und ich lebe!

Habe ich kein Recht dazu? Zu leben, wenn ich die Folgen meiner Wortoffenbarungen ganz alleine trage? Gehöre ich auf den Scheiterhaufen? Wenn ja, warum? Erhebe ich den Anspruch für alle zu leben? Als geheiligte Schriftstellerin und Führerin? Als Genie?

Nein, diesen Anspruch erhebe ich nicht, und ich wehre mich mit allen meinen Kräften gegen jeden Versuch, mich derart missbrauchen zu lassen.

Nun wurde mir aber Ãœberheblichkeit und Arroganz sowie einiges andere vorgeworfen, da ich einen Brief unterschrieb mit folgender Wortkonstruktion:

In diesem Sinne: Nehmen Sie mein Schreiben als Geschenk des Himmels, das keiner Antwort an mich persönlich bedarf, da ich nur eine kleine Dienerin bin, die Sekretärin vom lieben Gott.

Der Ausdruck »Sekretärin vom lieben Gott« hat einige Leser dazu bewogen, ihn aus dem Gesamtzusammenhang, dem Gefüge des Werkes herauszureißen, um ihn selbständig zu interpretieren.

Wer also fähig ist, aus sich heraus zu stehen, hat nicht das Bedürfnis, einen Titel zu tragen, der wird ihm vom Himmel verliehen, und das gewissermaßen unsichtbar, aber durchaus real spürbar, wie ich es tagtäglich erleben bzw. leben darf.

Dieses Wissen, dieses erlebte und erfahrene Wissen lässt sich aber leider nicht übertragen, und so sehe ich mich außer Stande, das meine „Diplom“ durch eine Schule, eine Universität, durch Prüfungen und Studiengänge ... zu vermitteln.

Meine Standhaftigkeit, mich nach Sätzen wie diesen als Sekretärin vom lieben Gott zu bezeichnen, wird mir nicht gegönnt, obwohl ich ausdrücklich geschrieben habe, dass ich mich außer Stande sehe, das meine »Diplom«, mein durch mich erfahrenes Wissen zu vermitteln. Muss ich demnach all meine Zeilen in Anführungsstrichen schreiben? Um nach jedem Buchstaben, jedem Wort, jedem Satz erneut auf diesen Umstand hinzuweisen, dass hier nur ich, ich, ich schreibe bzw. geschrieben habe?

Ich sehe mich weiterhin außer Stande, meine ureigene Erfahrung, mein ureigen erworbenes Wissen zu vermitteln, so lange die Mittel, in diesem Falle die Wörter, von den Mittelbenutzern, in diesem Falle den Lesern, nicht in die naturgegebene, »schöpferische« Zeit gelassen werden wie es dem ureigenen Rhythmus des Lesenden entspräche. So überlasse ich meine Texte ihrer Einsamkeit, möge damit geschehen, was will. Da ich mich nicht für Gott persönlich halte, ziehe ich mich in Demut zurück, um mich meinem inneren Rhythmus zu widmen und jenen zuzuwenden und zu öffnen, die mich darin nicht behindern.

 

Gedanken und Anregungen
zum Umgang mit (meinen) Schriftwerken

Je mehr Menschen sich von dem, was ich schreibe, angesprochen finden, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf Widerstand und Kritik stoße. Denn mein ureigener Rhythmus ist und bleibt unwiederholbar und damit niemals so authentisch zu interpretieren, zu verstehen, nachzuempfinden wie ich es während des Schreibens erlebt habe.

Mir fällt auf, dass viele Menschen, allen voran jene, die keine oder wenige Schriftwerke von sich geben, von den Schreibenden verlangen oder erwarten, sie mögen mit ihren Texten vollkommen alles auf einmal ausdrücken, ohne in ihnen ein Gefühl der Abwehr zu bewirken. Es wird verlangt, ein zeitloses Werk zu schaffen, das dennoch in der Zeit entsteht. Es wird erwartet, ein Musikstück möge in einem Moment erklingen, statt Entwicklungen in der Zeit wirken zu lassen. Warum?

Die Menschen sind voller Angst, sie könnten manipuliert werden. Sie wehren sich unentwegt gegen die Macht des Wortes, da das Wort als Machtmittel missbraucht wird und wurde, da sie in ihrer Erziehung vor allem Demütigung und Verletzung durch den Gebrauch von Wörtern erfuhren.

Jeder der schreibt, wird diese Demütigungen heraufbeschwören, ob er sie verursacht hat oder nicht. Es gibt keine Sicherheit, keinen sicheren Schutz, keine Gewährleistung für die gute oder schlechte Wirkung eines Textes.

In unserem Land herrscht eine strenge Zensur durch Menschen und Gesetze sowie deren mehr oder weniger beliebige Auslegung. Zugleich spüre ich unentwegt und mit Nachdruck die Forderung, ich möge Gesetzestexte verfassen, die frei von »Sünde«, frei von jeder Art der Gefühlsäußerung, frei von subjektiven Ausdrücken, frei von meiner individuellen Laune zu sein haben. Unabhängig von meinem subjektiven Empfinden soll ich in die Rolle gedrängt werden, mein Ich aufzugeben, meine Eigenart, und dies gerade von Menschen, die in der Öffentlichkeit dafür plädieren, die Eigenart eines jeden Einzelnen sei zu schützen und fördern – meine ausgeschlossen?

Meine Anregung ist folgende:

Bevor ein Mensch den Schritt tut, mich für irgendwelche Begriffe und Äußerungen anzuklagen, zu schelten, mir zu unterstellen, was Ausdruck seiner persönlichen Meinung und Interpretation des Geschriebenen ist, möge er mich bitte freundlich fragen, was ich mit diesem oder jenem Ausdruck gemeint haben könnte. Dies wäre eine erfreuliche Hinwendung zum Du, zum Gespräch, zum offenen Austausch, in dem die Würde des Menschen, des Schreibenden wie des Lesers bewahrt bleibt.

Ich empfehle deshalb, wie es auch andere Leser getan haben, mich z. B. erst einmal zu fragen: »Was verstehen Sie unter Gott?« Denn die Anklagen, ich würde mich etwa über Gott stellen, ich würde mir etwas anmaßen, was mir nicht zusteht, beinhalten, dass das Gottesbild der Ankläger feststeht, unumstößlich. Darin sehe ich nicht minder den Ausdruck manipulierender Redewendungen, vor allem, wenn sie in Missgunst geäußert werden.

Ich habe nirgendwo geschrieben, dass ich ein vollkommener Mensch bin, dass ich Alles auf einmal bin und kann! Aber ich kann es noch so oft und hingabevoll äußern, wie klein ich mich auch mache, auf den Boden drücke ... soll das nicht erkannt werden, um mir zu verbieten, große Worte zu schreiben, die ich empfunden habe?

Ich bin kein Gesetz, so wie ich nicht Gott bin. Ich suche ein Gesetz, das Gesetz der Schöpfung, ich suche Gott, ich horche in das hinein, was für mich Gott ist – und schreibe wie eine Sekretärin, die ohne Rechte ist und doch jeden Fehler zu verantworten hat. Davor drücke ich mich nicht, im Gegensatz zu vielen anderen schreibenden oder gar schweigenden Menschen.

 

geschrieben am 27.3.2000

© 2001 Jutta Riedel-Henck