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juttarh02

Beruf Beruflos

 

»Machst du das hier hobbymäßig oder als Beruf?«

Ich zögere. Weder Hobby noch Beruf, möchte ich antworten. Sicher, ich habe mal studiert, aber mein Treiben, mein Tun, mein Leben hat mit alledem wenig zu tun. Ich studierte, um zu lernen, wie es nicht geht. Das ist ja auch wichtig.

»Was machst du denn so?«

Nichts, möchte ich antworten, obwohl ich unentwegt beschäftigt bin. Wenn ich wirklichkeitsgetreu berichten müsste, was ich alles täte, würde ich vergessen, das zu tun, wovon ich berichten soll.

»Womit verdienst du dein Geld?«

Ich verdiene so wenig, dass ich sagen möchte: gar nicht. Aber wenn ich sage, ich lebe von dem Geld, das mein Mann verdient, lande ich in der Schublade schreibende Hausfrau, die ihre Zeit totschlägt und nebenbei ein wenig bastelt. Schön hat sie’s.

Du kannst doch so viel, mach was draus!

Ja, ich kann viel, das stimmt. Ich kann so viel, weil ich nichts draus mache.

Hoffnungslose Idealistin!

Hoffnungsvoll, wenn ich bitten darf!

Iiih wo! Du schaffst ja nichts!

Ich schaffe so viel, dass es nicht genügend Geld gibt, um mich zu bezahlen.

Wie bitte?

Ruf mich an, wenn du Kummer hast, dann wirst du mich verstehen.

...

Ein Mensch sucht um Hilfe. Er geht zum Arzt, zum Psychologen, zum Astrologen, zum Wahrsager und fragt sich: »Was wird es kosten?« Er schämt sich, den Arzt zu fragen, den Psychologen, den Astrologen, den Wahrsager. Er schämt sich so sehr, dass er hilflos bleibt, einsam und allein.

Ich schäme mich, meine Hilfe anzubieten gegen Geld. Geld ist ein Tauschmittel, meine Hilfe nicht austauschbar.

Irgend wovon musst du doch leben!?!

Ich lebe – oder nicht?

Aber wie! Das ist doch kein Leben!

Nein?

Ein Mensch wie du, mit dieser Intelligenz! Mit so viel Talent!

Soll ich es verkaufen?

Da kommst du nicht drum rum! Wir müssen uns alle verkaufen, ob wir wollen oder nicht!

Müssen wir nicht.

Aber natürlich! ... (bla bla bla blubb ... 1000 Seiten Text)

 

Wenn ich ein Buch verkaufe, dann verkaufe ich das Papier, aber nicht den Text. Das Urheberrecht bleibt bei mir. Was ist aber, wenn ich meine Hilfe verkaufe? Bin ich dann noch da? Gehöre ich dann noch mir? Bin ich dann nicht bestechlich, ein klein wenig heimlich bis unheimlich viel?

So konsequent kann heute keiner sein!

Nein?

Nein!

Ich versuche es trotzdem. Niemand braucht mit mir zu tauschen.

Da würden mich auch keine zehn Pferde zu bringen.

Gott sei Dank! Ich bin unverkäuflich! Ein Ladenhüter auf dem Ladenhütermarkt.

Du mit deinem überheblichen Edelmut! Glaubst wohl, du seist was Besseres, was? Ha, dich kriegen wir noch! Wirst schon noch sehen!

Kriegen, bekriegen ... wozu um alles auf der Welt wollt ihr mich kriegen?

Weil du auf unsere Kosten lebst!

Wie bitte?

(10.000 Seiten Text)

Kam ein Vogel geflogen, suchte nach einer Hecke, suchte nach Samen in vertrockneten Blüten, fand nichts. Die Menschen hatten alles abgemäht. Kam eine alte Dame und hängte einen Meisenknödel an die Regenrinne. Kam ein Vogel geflogen und setzte sich, pickte ein Körnchen, nickte die alte Dame zufrieden: Siehst du, gutes Vögelchen, ich sorge für dich. Ohne mich müsstest du sterben!

Ohne die Menschen hätten die Vögel ein paradiesisches Leben. Ohne die Vögel spürten die Menschen ihren lebendigen Tod. Wer lebt von wem?

Aber du bist doch kein Vogel! Du bist doch bloß ein Mensch! Du gehörst zu uns! Wir sitzen alle in einem Boot!

Ja? Gehöre ich zu euch? Wirklich?

Aber ja, wir lieben dich.

Aber nein, ihr braucht mich.

Du armes gebranntes Kind, sei nicht so misstrauisch! Natürlich lieben wir dich!

Warum spüre ich dann nichts?

Weil du krank bist!

Dann seid ihr also gesund.

Na ja, nicht immer, aber immer öfter.

Meine Krankheit fühlt sich schön an, euer Anblick missfällt mir.

(rote Köpfe, Wutschnauben, schwarzer Qualm dampft ab, 30.000 Textseiten)

Zeit für ein Nickerchen.

(die Feuerwehr trifft ein)

Was für ein Krach!

(Sirenengeheul, Kreischen, Bremsenquietschen)

Da kann man ja nicht schlafen!

(Hilfegeschrei)

Ich laufe.

(dankbare Blicke)

Ich helfe.

(Beim nächsten Mal nur noch 29.999 Seiten Text. Immerhin. Das sind die Fortschritte der Menschheit.)

Weil’s so schön war, noch mal von vorne.

 

 

© 2001 Jutta Riedel-Henck