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„Schwarze Magie“ – gibt es die?

 

Wer kennt sie nicht, all die Geschichten um böse Zaubereien, die Macht des Unsichtbaren, ungreifbare Kräfte ... Während manche im Anblick solcher Gedanken und Bilder ehrfurchtsvoll zu Boden blicken, schütteln andere siegessicher den Kopf: »So ein Blödsinn, das sind doch nichts als hirnrissige Spinnereien!«

Sind sie das? Oder ist die Verdrängung ungreifbarer Kräfte nicht gerade Pulver für deren unerkannte Wirkung?

Ich hatte einmal Kontakt zu einem Menschen, der solcherlei Wirkungen heftig abstritt, um zugleich einen Angriff gegen mich zu starten, der seinen ausgesprochenen Bekundungen zutiefst widersprach.

Dieser Mensch schickte mir ein Bild zurück, das ich gemalt hatte, mit der Bemerkung, von diesem Bild gingen nur böse Schwingungen aus. Konnten sie das denn, wenn es solche Schwingungen gar nicht gab?

Mir sind auch andere Fälle bekannt, da Menschen sich der greifbaren Materie bedienten, um alles Ungreifbare als nichtexistent zu titulieren und gleichzeitig mit diesen Kräften an mir zu vergehen.

Wie kommt es nun, dass es möglich scheint, mit Wörtern zu manipulieren, die ja an sich nichts anderes sind als eine Zusammenfügung einzelner Zeichen?

Nehmen Sie einen Brief und halten Sie diesen vor die Augen einer Katze. Diese wird vielleicht an dem Papier schnuppern, aber mit den darauf abgedruckten Buchstaben nichts anzufangen wissen. D. h. von dem Brief selbst gehen keine Schwingungen aus, die etwas »Magisches« bewirken.

Steht darauf etwa »Töte dich selbst«, so kann es passieren, dass sein menschlicher Leser sich tatsächlich selbst tötet, während die Katze sich abwendet und gemütlich von dannen spaziert, ohne sich ein Haar zu krümmen.

Die Sache, das Papier mit Druckerschwärze, ist ohne Leben.

Auch das Wort »böse« ist nur eine Zusammenfügung von Zeichen, in diesem Falle den Buchstaben b, ö, s und e. Sie können nun ein wenig damit spielen, indem Sie neue Kombinationen erfinden, z. B.: »besö« oder »söbe« oder »öseb« oder »ebsö«. Was aber bewirkt dieses Wort in Ihnen? Was bewirkt es bei jemand anderes? Und warum?

Warum streiten Menschen mit Worten, wenn Worte für sich genommen ohne Wirkung sind? Warum fühlen sich Menschen durch bestimmte Worte oder Wortkonstruktionen verletzt, während andere unbetroffen mit den Achseln zucken?

Es ist interessant, dass Menschen, die jede Art von magischer Wirkung bestreiten, sich dieser Wirkung durch die Anwendung von Worten zu bedienen suchen. So liegt es nahe, dass die Wirkung abgestritten wird, um nicht daraufhin zur Rede gestellt zu werden. Geheimnistuerei um der Wirkung des Verschwiegenen Willen, und das ist, was ich schwarze Magie nenne, schwarz im Sinne von verborgen, während weiße Magie die Wirkung der Anwendung von Worten unter lebendigen Menschen jederzeit anzuerkennen und zu berücksichtigen bereit ist: der offene, helle Umgang, das Zu-Tage-Treten.

Für alle, die abstreiten, dass Worte verletzen können, möchte ich ein wenig erklären.

Nehmen wir an, ein Kind wird von seiner Mutter geschlagen und hört währenddessen die Worte »Du ungezogener Bengel! Wegen dir bin ich unglücklich! Du hast mir mein ganzes Leben versaut! Du böses schreckliches Kind!« Nun gerät das Kind an einen anderen Menschen, der es nicht schlägt, aber eben diese Worte sagt: »Du ungezogener Bengel! ...« Die Schmerzen des Geschlagenwerdens geraten durch diese Worte in die Erinnerung, ins Bewusstsein. Muss ich noch genauer ausführen, wie sich das anfühlt? Ist der Angesprochene dabei glücklich? Gleichgültig?

Nun kann es durchaus sein, dass ein Kind solche wortreichen Beschimpfungen nicht zu hören bekam, aber durch die Mimik seiner Mutter erkannte, dass diese ihm abgeneigt, wenn nicht gar feindlich gesonnen war. Etwa, wenn das Kind gewickelt wird und sieht, wie die Mutter die Nase rümpft, schluckt, das Gesicht verzieht. Oder es hört alleine am Tonfall der Sprechenden, dass diese ihm feindlich gesonnen ist. Unternehmen Sie einfach den Versuch und sagen Sie, während sie tiefe Wut empfinden, »ich liebe das Leben«. Ist es möglich, die Gefühle hinter den Worten zu verbergen?

In unserer Kultur wird jedem Bürger geradezu aufgezwungen, sich der verbalen Sprache zu bedienen. Im Kleinkindalter lauern viele Eltern auf das erste »verständliche« Wort, vergleichen seine Fähigkeiten zu sprechen mit denen anderer Kinder, und spätestens in der Schule gibt es für diese »Leistungen« Zensuren d. h. Bewertungen, und jener, der am besten mit dieser Sprache umzugehen weiß, wird am meisten dafür gelobt. Oder glauben Sie, dass ein Kind die Zensurengebung nicht ernst nimmt?

Alleine die Tatsache, dass Menschengruppen sich unterschiedlicher Sprachsysteme bedienen, weist darauf hin, dass die verbale Sprache der Einhaltung begrenzbarer Spielregeln bedarf, um die miteinander Sprechenden zu verbinden. Diese Spielregeln lernen wir von klein auf, indem unsere freie, noch unbegrenzte Lautäußerung durch verbal Antwortende »artikuliert« wird. Das Baby spielt mit Zunge und Lippen, die Mutter greift die Laute auf und wiederholt: »Mama«. Während das Baby von sich aus nur spielte, ohne damit den Zweck zu erfüllen, seiner Mutter einen Namen zu geben (Mama), bewirkt die Antwort seiner Mutter eine Begrenzung, eine Zuweisung, ein Ortung. Mit zunehmender Wiederholung solcher Zusammenhänge gewöhnt sich das Baby daran, Mama zu sagen, während seine Mutter ihm gegenübersitzt und »Mama Mama Mama« ausruft, ihm dabei eindringlich in die Augen schaut und glücklich lächelt.

Das Baby tritt in Beziehung zu seiner Mutter nun nicht mehr alleine durch sein freies, unbegrenztes Spiel, sondern mit Hilfe der formierten Lautfolge »Mama«.

Dieses Beispiel lässt sich nun mit allen uns bekannten Wörtern ausbauen, mit entsprechenden Personen, die dem Baby diese Wörter »beibringen«, mit Situationen, in denen das Baby diese Wörter hört, mit der Eindringlichkeit oder Leichtigkeit usw.

Zurück zum Wort »böse«. Denken Sie sich eine Mutter, die innerlich voller Hass ist, weil sie ein Kind hat, während sie keine Lust empfindet, auf dieses Kind einzugehen, da sie selber Kind bleiben möchte. Die Mutter lehnt also ihr Kind ab, was das Kind spürt. Lernt es nun aus diesem Zusammenhang heraus durch seine Mutter mit Nachdruck das Wort »böse« kennen, so wird diese Urerfahrung, dieses Urgespür der Ablehnung durch seine Mutter mit diesem Wort von Beginn an verknüpft, hier hat die Geburt des Wortes »böse« für das Kind seine Wurzeln (in diesem speziellen Beispiel).

Durch diese Urverbindung zwischen Mutter und Kind erhält das Wort »böse« seine magische Bedeutung: für dieses Kind. Von nun an braucht das Kind nur noch das Wort »böse« zu hören, und es werden alle damit verbundenen Empfindungen tiefer Ablehnung, tiefen Hasses durch seine Mutter geweckt.

Mit Hilfe dieser Erkenntnis wird es nun möglich, einen Menschen alleine durch Aussprache oder schriftliches Zugänglichmachen des Wortes »böse« zutiefst zu quälen. Auf dieser Grundlage beruht die schwarze Erziehung.

Nun ist es leider nicht möglich, diese Urerfahrung aufzuheben, auszulöschen. Ich kann dem Heranwachsenden die Zusammenhänge erklären, wie ich es mit diesem Artikel gerade versuche, aber die Wirkung des Wortes »böse« lässt sich nicht mehr ent-schuldigen, so wie jede Erfahrung unauslöschbar ist.

Menschen, die durch Sprache Folter und Qualen erfahren haben, müssten deshalb ein Grundrecht bekommen, sich auf anderem Wege auszudrücken. Unser Bildungssystem verlangt aber, dass sich jeder eines verbalen Grundwortschatzes bedient, als sei dieser frei von Magie, frei von Empfindung, frei von Erfahrung: sachlich.

Kein Wunder also, dass gerade bei »giftigen« Diskussionen verstärkt die Forderung laut wird, man möge doch bitte sachlich argumentieren. Doch jede Art der Argumentation, sei sie noch so rechtschaffen gemäß der deutschen Grammatik, der deutschen Rechtschreibregeln usw., wird emotionsgeladen interpretiert, eben weil die Zusammenhänge zwischen Sprache, Empfindung und Erfahrung individuell und damit unvergleichlich gespeichert sind.

Die Wirkung eines Wortes lässt sich also alleine durch diese Urerfahrungen im Spracherwerb nicht ausschließen, jeder von uns ist davon und dadurch auf seine individuelle Weise beeindruck- und manipulierbar.

Diese Wirkung nenne ich Magie. Schwarze Magie wäre, wenn ich meinen persönlichen Hass mit Hilfe dieser Wirkung durch das Wort an anderen heimlich abreagiere, verlängere und in seiner Wirkung verstärke, weiße Magie nimmt den gegenteiligen Weg. D. h. ich habe mich während des Schreibens (oder Redens) stets selbst zu prüfen, welcher Art meine Empfindungen sind, um die Worte daran auszurichten und bemüht zu sein, alles Hässliche für mich zu behalten, um nicht meine persönliche Urerfahrung in Verbindung mit den von mir gebrauchten Worten an anderen abzureagieren.

Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass meine gebrauchten Worte, welche für mich mit freundlichen Empfindungen verbunden sind, bei den Angesprochenen in einen Speicher treffen, der hässliche Empfindungen in diesem Zusammenhang enthält. Missverständnisse sind also niemals auszuschließen, können aber durch beharrliche und reflektierende Selbstbeobachtung stark eingegrenzt werden.

 

 

Literaturempfehlung:

Thomas Bernhard: Ein Kind. dtv, DM 12,90.

In diesem Buch schildert der häufig und zutiefst angegriffene Schriftsteller Thomas Bernhard, wie er als Kind durch die Anwendung von Worten gefoltert und gequält wurde. Auf der Grundlage dieser seelenzerstörenden Urerfahrung im Umgang mit Sprache sollte jeder Leser bemüht sein, den Autor nicht als Sündenbock für seine urpersönlichen Spracherfahrungen zu missbrauchen und anzuklagen, an den öffentlichen Pranger zu stellen. Dies ist leider keine Seltenheit, wie ich aus eigener Erfahrung als Schriftstellerin weiß.

 

geschrieben am 26.3.2000

© 2001 Jutta Riedel-Henck