Stillstand
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juttarh02

Stillstand

 

„Du willst wieder ein Buch schreiben?“

„Ja, ich muss.“

„Wie soll es heißen?“

„Ich weiß nicht.“

„Und worüber?“

„Über das Buch.“

„Ein Roman?“

„Ja, wenn es einer wird.“

„Weißt du auch schon, für wen?“

„Nein. Ich weiß nicht einmal, warum.“

„Vielleicht für dich selbst.“

„Das habe ich auch bisher gedacht. Schließlich hatte ich keine Gelegenheit, all mein Geschriebenes zu verbreiten. Wenige Freunde haben einiges gelesen. Doch ihre Kritik ist mir nicht geheuer. Andererseits vertrage ich keine Kritik.“

„Du bist zu eigen.“

„Das stimmt. Soll ich mich ändern?“

„Wohin? Zu was?“

„Ja, eine Alternative sehe ich nicht – zu mir.“

„Ich sehe es immer gerne, wenn du schreibst.“

„Ich schreibe auch gerne. Mir scheint, nur der Drang ist das Unerträgliche, doch ohne ihn könnte ich nicht schreiben. Wenn ich über Schicksal nachdenke, verliere ich die Worte. Wenn ich dennoch Worte daran messe, schreibe ich schlecht. Schreibe ich gut, dann versteht mich niemand. Was ich gut finde, wird von anderen als schlecht empfunden. Nur wenige Freunde teilen mein ästhetisches Empfinden. Doch sicher bin ich mir dessen nicht. Freundschaft kann sehr unheimlich sein – wie die Liebe.“

„Ist es das, worüber du jetzt schreiben willst?“

„Ich glaube, es ist möglich.“

Die Katze streicht mir um die Beine. Ich hocke mich auf den Boden und strecke ihrem Kopf meine Hand entgegen. Die Wahrheit ist wie ein Raubtier – diese Katze trägt davon unter ihrem Extrastimmband für ratternde Schnurrungen. Ich warte auf den Gegendruck ihres Kopfes und drücke zurück – mit meiner Hand. Ihre Pfote hängt in der Luft, ihre rechte Vorderpfote, sie streckt die Krallen aus und biegt ihren Fuß nach innen, ihr Mund ist leicht geöffnet, die Augen schauen mich erwartungsvoll an. Was sie erhofft, ist mir klar. Ich selbst habe keinen Appetit. Das Futter für die Katze riecht für mich abstoßend, ich gebe es ihr, als sei es Abfall, den ich gegen Abfall, d. h. Geld, eintauschte. Die Katze leckt die Fleischbrocken und schnurrt dabei.

Wenn ich jetzt schreiben will, sollte ich nicht viel lesen. Ich möchte nicht, dass ich zu sehr beeinflusst werde. Dennoch möchte ich lesen. Ein bereits begonnenes Buch liegt neben dem Bett, es hat mich geärgert, dass der Verlag des verstorbenen Schriftstellers sein Werk aus dem Nachlass von ungefähr 1500 Seiten auf 1/5 gekürzt hat, ohne nicht bemerkt zu haben, dass es das Werk des Autors bliebe. Ich verstehe das nicht. Er wirkt durch diese Kürzung unmündig. Vielleicht ist das typisch für das Verlegtwerden.

Das Wort „Verlegen“ assoziiere ich mit dem Verlegen eines Gegenstandes, den ich verzweifelt suche. Ein Buch von mir möchte ich verlegen – vielleicht, um es damit zu verlieren?

Es gibt Gedanken, die frei waren, bis sie aufgeschrieben wurden. Dann wurde um sie gestritten. Ein Urheberrecht besteht so lange, wie der Urheber schweigt. Er hebt sich einen ... ein Glas Rotwein, weißer Rum mit Zitrone und Pfefferminzblättern, Bier kistenweise. Er hebt sich selber ur und bleibt damit bei seinen alten Riemen. Ein Schritt zum Du würde ihn ernüchtern.

Die Katze springt auf den Stuhl neben mir. Ich streiche mit meiner Hand über ihren Rücken und unterhalte mich. Den Kugelschreiber lasse ich auf den Boden fallen. So ist mir wohler.

Eine Weile habe ich nachgedacht. Die Katze ist inzwischen hinausgelaufen. Trotz Regenwetters verbringt sie viel Zeit außer Haus. Die Wühlmaus im Hügelbeet hat sie noch nicht gefangen. Stattdessen schleppt sie immer wieder alte Vögel an, getötet natürlich. Im Keller liegen die Federn. Sie ist ein Raubtier.

Die Räuber unter den Menschen nennen sich selten Tier, eher tierisch, meist tierisch gut, weil auch sie sich siegend wissen möchten.

Die Sinne der menschlichen Räuber sind gar nicht so verborgen und tot, geglaubt meist, aber nicht gelebt.

Häufig habe ich die Katze beobachtet, wie sie wartet. Sie knickt ihre Vorderpfoten nach innen, sitzt da wie eine wiederkäuende Kuh, ohne zu kauen. Dass sie wartet, denke ich in dem Moment, wo sie freudig aufspringt und in den Flur des Hauses trabt, nachdem die Tür geöffnet wurde. Sie beginnt laut und eindringlich zu miauen, schleicht vor den Beinen der Menschen umher, dreht ihren Kopf zurück, in die Höhe zu den menschlichen Händen gereckt, die Augen zu runden Kullern geformt.

Die Objektivität der Sprache versagt auch hier.

Ein Versager ist – zumindest kein Vorsager. Beiden wird etwas nachgesagt.

„Wie geht es voran?“

„Ich bin mir nicht sicher. Die Kontrolle ist so stark. Ich versuche zu trennen zwischen Experiment und Objektivität, und keines von beidem gelingt mir. Ich frage mich zu viel während des Schreibens.“

„Das Überich.“

„Ja, das Überich. Es ist in mir drin. Es sagt mir immer, ich sei zu überheblich. Also versuche ich, nicht über mir abzuheben. Ich lenke mein Überich zu mir hin, ich reiße mich zu Boden, ich sitze auf dem Boden, ich lege mich in das Gras auf den Boden im Garten – und genau in dem Moment sagt mein Überich, ich sei überheblich.“

„Wer ist dein Überich?“

„Nicht ich.“

„Deine Eltern?“

„Auch.“

„Deine Geschwister?“

„Ja. Auch.“

„All deine Verwandten?“

„Nicht alle. Viele habe ich ja nie kennen gelernt.“

„Aber indirekt?“

„Das mag sein. Indirekt ist alles mein Überich.“

„Ich glaube auch.“

„Was machst du gerade?“

„Ich will dich überreden, mit mir in den Garten zu gehen.“

„Das ist genug deiner Kunst des Überredens. Du brauchst kaum Worte dafür.“

Das Gras ist nass. Die Bäume bewegen sich im Wind. Büsche und Blumenstauden wiegen ihre Stängel und Zweige – nicht selbst. Auch sie werden gewogen. Nur der Mensch meint, er sei selbständig, autonom. Das halte ich für überheblich. Was unterscheidet uns von der Katze, vom Baum, von der Blume im Wind?

Überheblich meint der Mensch, er sei mehr wert als die Blume – dies sagt er durch die Blume. Zum Reden ist sie gerade gut genug – die Natur. ,Sag es mit Blumen`, sagen die alltäglichen Dichter der Werbung. Gezüchtet – geschnitten – verkauft.

Die Vorgärten sagen gar nichts, keine Blume spricht, kein englischer Rasen. All das tut immer nur ein Mensch. Lebt er einfach in Freundschaft mit den Blumen, so muss er überheblich sein, da er niedere Natur zur Ebene der Menschlichkeit zu heben versucht. Dass er dabei über die Blume gebeugt ist, bemerkt nur ein Mensch, der sich gleichen Wertes mit der Blume glaubt. Und das Denken ist Glauben, das Sein undenkbar.

„Wo bist du?“

„Hier!“

„Ach, ich dachte, du seist schon wieder ins Haus gegangen. Mir ist kalt.“

„Ich habe auch Lust auf einen Kaffee. Wie geht es deinen Pflanzen?“

„Sie blühen fast. Aber die unteren Blätter sind gelb geworden.“

„Das ist der Regen. Sie mögen keine nassen Füße.“

„Ich auch nicht. Meine Schuhe sind durchweicht.“

„Und deine Blüten?“

„Ich weiß nicht. Mir fehlt etwas.“

„Mir auch.“

Ich drehe mich um und sehe die Katze wieder. Im Maul hat sie eine kleine junge Katze.

„Das gibt's doch nicht!“

„Sie trägt es zu uns. Ich dachte schon, es wäre wieder ein toter Vogel.“

„Wir sollten die Garage öffnen.“

„Sie ist offen. Ich bringe Stroh ins Haus.“

Bald war der Keller voller Katzen.

In der Nacht träumte ich vom Finanzamt. Ich watschelte dort wie eine Ente durch kniehohes Wasser, von Schalter zu Schalter. Es war eine runde Halle. Bald stellte sich heraus, dass es keine Probleme gab. Das Wasser störte mich nicht.

Die Gurkenpflanzen im Garten mögen keine nassen Füße. Entweder sie keimen erst gar nicht oder die Keimblätter schauen angefressen aus der Erde oder die ersten vier gewachsenen Eigenblätter vertrocknen. Ein angemessenes Zuhause haben sie in unserem Garten nicht gefunden.

Die Katzen dagegen werden schnell größer. Wir können sie nicht alle bei uns beherbergen. Vor allem, da die Mutter bald wieder Junge bekommen wird und die Jungkatzen auch einmal – und dann für lange Zeit – fruchtbar werden.

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Wer ist eigentlich berechenbarer?

Vielleicht gibt es keine Antwort darauf. Dass der Mensch denkt, macht ihn nicht unbedingt stärker, was auch immer Stärke sei. Dass er schreibt, mag Ausdruck einer Schwäche sein. Die Stärke wird an der Breite des Buchrückens gemessen, an der Auflagenhöhe und -zahl, am Format.

Die Katze maunzt wieder einmal. Meist will sie essen oder trinken bzw. fressen oder saufen, wenn nicht, möchte sie aus dem Haus, und was sie da will: ...

Sonne tanken, nach der langen Regenzeit im Frühjahr. Im Gebüsch liegt die Katzenmutter, um sie herum rascheln Zweige, bewegen sich kleine Schwänze, liegen kleine Häufchen Katzengut.

Wie ist das mit der Eitelkeit? Der Wind weht sanft um meine Beine.

Ungeschrieben lässt sich leicht denken. Niedergeschrieben wird alles unbedacht. Immer bleiben Mittel fehlerhaft.

Die Katze kneift ihre Augen fest zusammen und atmet tief durch. Dann leckt sie sich den Rücken, das linke Vorderbein, einem ihrer Söhne die Ohren. Ein Knäuel von Katzen liegt jetzt im Gebüsch.

Die Eitelkeit des Schriftstellers mag sich darin ausdrücken, dass er schreibt, als wäre es von ihm unabhängige Kunst. Der Kunstbegriff wird entsprechend gehandhabt – d. h. auch: entsprechend unterschiedlich, je nach Grad der Eitelkeit.

Mein Bruder hält wenig von meinem Schreiben. Er ärgert sich, wenn er den Text nicht fassen, mit ihm nichts anfangen kann. Er würde viel lieber sehen, dass ich einen ordentlichen Beruf ausübe, dass ich Geld verdiene für heute und meine Zukunft, dass ich mich ändere, wenn ich kritisiert werde, um nicht mehr kritisiert zu werden. Hätte ich jedoch Erfolg mit meiner Arbeit in Form von ausverkauften überdimensionalen Auflagen, so wäre ich ihm, wie ich bin, gerade recht. Außerdem wäre es dann etwas besonderes, Schwester zu sein.

Der Schatten der Bäume hinter mir schützt mich vor direkter Sonnenstrahlung. Ich trage eine Sonnenbrille, ausnahmsweise. Kleine klumpige Schönwetterwolken bereiten momentan ausgeglichenen Schatten, der Wind reicht nicht, die Fliegen zu vertreiben. Auf dem Teller mit Nudeln und Ei, der für die Katzen bereitsteht, tummeln sich einige davon.

Aus der Küche höre ich Geräusche. Das Fenster ist geöffnet.

„Ist die Katze da?“

„Ich glaube, nicht.“

Sie verzieht sich tagsüber unter die Büsche. Manchmal kommt sie verschlafen und träge vorbei und lässt sich unter den Tisch fallen: Platsch, da liegt sie. Neben den kleinen Jungkatzen sieht die Mutter aus wie ein feister Leopard. Da kommt sie, angekündigt durch dreifaches Maunzen mit einigen Zugaben. Die Kleinen hinterher. Eines hat die Nudeln entdeckt und frisst davon. Die übrigen haben sich ins Gras gelegt. Auf dem Schreibpapier landen ab und zu kleine Insekten, die ich immer wieder wegpuste, um sie nicht versehentlich beim Schreiben zu zerdrücken und dabei einen Blutfleck auf dem Papier zu verursachen.

Das Schüchternste der Kätzchen liegt hinter dem fressenden Kater und leckt sich die Vorderpfoten. Nun muss auch die Mutter zum Nudelteller, doch der kleine Kater knurrt sie zurück. Das Schüchterne darf dagegen fressen. Es ist genug da. Der Futterneid muss eine andere Ursache haben.

Wie lernfähig eine Katze wohl ist. Saugen, Treten, Putzen, Schnappen und Fressen scheinen ihr angeboren zu sein. Ob die Mutter dabei eine vorlebende Erzieherrolle hat, ist mir auch unklar.

Die Kleinen haben den Nudelteller verlassen. Jetzt frisst die Mutter, unbeknurrt. Sie leckt dabei mit der Zunge zwischen den Nudeln, schiebt diese zum Tellerrand und lässt sie in den Mund gleiten. Ihr Hunger ist trotz des warmen Wetters groß.

Der kleine getigerte Kater gräbt schon seit zwei Tagen an einem Loch herum. Endlich hat er es als Klo benutzt. Das Schüchterne gräbt anschließend weiter. Die graue Katze liegt zusammengerollt da und zuckt mit den Barthaaren. Ihre Geschwister sind alle wach.

Ein Rest von Nudeln liegt nun da und wird von einigen Fliegen besucht. Es raschelt im Gebüsch und surrt, es quiekt, und aus den Bäumen zwitschert es.

Wie viele Zierworte könnten das anders ausdrücken?

Meine Eitelkeit reicht dafür nicht aus.

Langeweile ist kaum zu beschreiben. Unerträglich kann es jedoch sein, sich selbst nicht stoppen zu können vor kreativer Energie. Die Momente nehmen zu, da ich nur noch wenig Lust verspüre, etwas zu kreieren. Es mag reine Beschäftigungstherapie sein. So viel hatte ich mir vorgenommen. Jetzt sitze ich da und denke mehr, als ich schreiben will. Die Materialisierung alles Irrationalen gelingt mir zwar fast täuschend echt, doch finde ich keine Interpreten dessen, lieben doch zu viele die echte Täuschung. So möge ich nicht aussprechen, dass sie besteht. Wie verliebt die Menschen sein können und wie aggressiv, wenn sich ihre Verdrehungen entwirren. Wer sehen will, muss dafür nicht wild um sich schlagen.

Die Kraft der Einbildung ist beständig.

Es gibt doch kaum mehr etwas zu sagen, wo alles schon gesagt wurde. Endlose Diskussionen führen immer nur zum einen Ende, beginnen beim nächsten, lassen End- zu Standpunkten werden, damit es nicht auffiele, dass sich das Gerede nur im Kreise dreht. Doch das Drehen macht schwindelig, so wunderbar betrunken, die Sinne begeben sich in die nächste Kneipe und dort wird endlich Freundschaft geschlossen mit den endlichen Standpunkten. Jeder habe ein Recht, auf einem Punkt stehen zu bleiben. Dennoch wird am nächsten Tag wieder Karusselldrehen gespielt, auf der Lauer sitzend, jemand möge von seinem Punkt wegrutschen, sich dem seinen nähern, ihn nähren gar, so dass sein Punkt zu einem dicken Fettfleck würde, der sich einfach nicht mehr wegwischen lässt, der an Bedeutung gewinnt, der Geschichte macht, der sich durchsetzt, verbreitet über die ganze Kugel mit Namen Erde. Die kleine Gebärmutter – und die große Gebärmutter. Eine Abnabelung findet nicht statt.

Katzen sind Einzelgänger. Die Väter der Katzen haben mit der Geburt und Aufzucht ihrer Kinder in der Wildnis meist nichts zu tun. Eine Hauskatze, welche beim Menschen wieder in die Kindrolle verfällt, bettelt bei Mensch-Mutter wie die Kätzchen bei ihrer Katzenmutter. Kaum wurde ihre Schüssel mit Milch gefüllt und soll zu ihrem Fressplatz getragen werden, drückt die Katze ihren Kopf gegen die gebende Hand des Menschen und drängt sich vor. Oft wird dabei die Milch verschüttet. Die Jungkatzen drängen sich ebenso zwischen die Beine der Mutterkatze und suchen nach ihrer Lieblingszitze. Dann treten sie mit beiden Vorderpfoten in den Mutterbauch, dass die Milch besser fließe. Während des Trinkens aus der Menschenschale tritt die Mutterkatze hin und her, auch auf hartem Betonboden. Mit den Urbedürfnissen nach Nahrungszufuhr lässt sich selbst die Eigenwilligkeit einer Katze überlisten – aber nie total.

„Darf ich lesen, was du geschrieben hast?“

„Ich lese es besser vor. Meine Schrift und die Fehler liegen mir näher als dir.“

Die graue Katze sitzt unter dem Tisch. Eine Amsel ruft warnend.

Es gibt Menschen, die keine Missverständnisse zulassen. Sie sagen, man rede aneinander vorbei, so habe es keinen Zweck. Man müsse sich an die Spielregeln halten. Also spricht der Mensch: Hör mir doch mal zu! Ich sage: Nein. Er schüttelt den Kopf. Ich spreche. Ich solle schweigen und zuhören, sagt der Mensch wieder. Er wendet sich ab und sagt: Bitte! Ich sage: Nein. Er merkt nicht, dass ich zugehört hatte. Also antwortet er: Aber ich habe ,bitte` gesagt!

Oder antwortet er nicht? Er wartet. Ich warte. Ich antworte. Oder sage ich bloß? Ich habe die Frage vergessen. Gab es eine Frage? Die Antwort ist immer möglich: Ich weiß nicht.

Bitte! – ruft es aus.

Ich muss mal nach den Pferden sehen.

Kennen Sie Literatur?

Darüber ließe sich schreiben.

Sich ließe darüber schreiben.

Schreiben ließe sich darüber.

Ließe sich darüber schreiben?

Ich bin keine Literaturkennerin.

Einmalig ist alle Literatur. Die eine mal so, die andere mal so. Mal eine, mal zwei, mal fünf Liter auf Tour. Mal Bier, mal Wein, mal Milch, mal Wasser im Glas.

Eine kleine graue Katze sitzt vor den fliegenden Ameisen. Die Kenntnisse durch Beobachtung sind einmalig. Große Sprünge werden auch zweigleisig geduldet, doch fehlt es meist an passenden Schwellen, und die Sprünge werden als solche nicht mehr wahrgenommen.

Wie unwichtig diese Worte für eine Katze sind. Sie faucht mich an, weil ich sie am Bauch zu streicheln suchte. Die Mutterkatze wehrt sich gegen Zitzenbisse der Kinder, selten lässt sie sich in unserem Garten sehen.

Hinter mir raschelt es im Gras.

Wie wahren wir die Form? Ganz enorm. So wahren wir die Wahrheit. Dann war alles umsonst, jede Belehrung.

Ein grober Unterton, Fliegen umsurren das gerade denkende Gehirn. Eine Schwalbe spielt Fledermaus. Es ist ungehörig, so zu schreiben. Die Erfolgreichen treiben es wild, trotz Linie. Abführtabletten beleben die Darmfunktionen, funktioniert es, oder funktioniert es doch? Basstöne schallen aus der Küche. Der letzte Gast ist abgereist. Bücher ungelesen. Trotz aller Übertreibung: Es bleibt bei diesem Wetter. Regnen wird es heute nacht. Es ist noch lange nicht vollbracht – bis es kracht.

Hab Acht

      Hab Acht

          ganz sacht

              lacht

                  der bebende Flügel.

Mit dem Leben habe ich das Schreiben verlernt. Es gibt Menschen, die nie geschrieben haben. Ich aber schreibe. Und Momente locken in mir den Hass hervor – gegen Denken und Schreiben. Es ist anstrengend zu schreiben – wenn ich schreibe. Ich frage mich: Musst du? Lass es, wenn du nicht magst, es dir schwer fällt – dann sollst du vielleicht nicht – doch ich will schreiben. Ich rufe: Aber es nützt doch nichts – du erntest Ablehnung mit deinem Schreiben! Hör endlich auf! Es ist vorbei!

Große Trauer um mich und mein nutzloses Tun – sollte ich dienen? Und ich diene während des Schreibens. Ich diene – und die Sonne scheint im frühen Herbst. Eine Fliege ruht auf dem Rücken der Mutterkatze. Bauern ernten Getreide und Heu. Kleine und große Traktoren mit und ohne Hänger fahren auf der Straße. Ein laues Lüftchen – nein, ich diene nicht. Ich reiße mich los und trinke eine Tasse Kaffee.

Der graue Kater liegt auf dem Stuhl. Klaviermusik tönt aus dem Nebenzimmer. Ich habe schon mehr geleistet, als ich glaube, ich weiß es. Und all der Hass? Er bleibt. Vielleicht braucht alle Weisheit solch tief sitzende Gefühle. Die Liebe weicht alles auf – es sickert ein Sandkorn in den Magen.

„Kleine Spinne – grüße den Regenbogen, ich bin zu müde!“

Ein Faden lässt sie von der Lampe gleiten – Flugzeuglärm aus dem Himmel, gelbe Blätter an den Bäumen, Ringelsöckchen auf dem Küchentisch.

Es dämmert. Dünne Finger ergreifen einen Filzstift und spiegeln sich in der Schaufensterscheibe.

„Etwas Vernünftiges kannst du nicht schreiben?“

Ich frage zurück: „WAS?“

„Na, einfach irgendetwas, das man versteht? Deine Texte sind nicht lesbar!“

„Schreibe ich undeutlich?“

„Nein, ich kann deine Schrift wohl lesen, aber der Inhalt!“

„Er fehlt dir?“

„Ja, ich weiß nicht, was du sagen willst!“

„Ich sage nichts, wenn ich schreibe.“

„Komm, nun red' dich nicht raus! Genau das meine ich – du sprichst an allem vorbei!“

„Anders geht es nicht. Vielleicht treffe ich auf diese Weise am besten.“

„Warum willst du die Leute ärgern? Ich verstehe dich nicht! Du schreibst den reinsten Quatsch!“

„Ja – das Leben ist nicht anders.“

„Mit dir kann man nicht vernünftig reden. Du bist mir zu abgehoben.“

„Und du bist im Mittelpunkt. Ich wünsche dir alles Gute.“

Der Gesprächspartner hat sich nicht verabschiedet. Er redet ununterbrochen weiter. Ich denke nicht mehr an ihn. Aber er denkt an mich. Habe ich ihm etwas zum Denken gegeben?

Quatsch – es lohnt vielleicht doch, über Unsinn zu schreiben. Eine Mücke vertreibt mich vom Schreibtisch.

Es ist erschreckend, für wie dumm ich gehalten wurde und werde. Die Wirklichkeit ist Siegerin, doch die Aggressionen treffen mich und haben mich getroffen. Dafür werden Kinder in die Welt gesetzt, dafür gibt es die Jüngeren, die ja nie anders können, als jünger zu sein. Ewige Verlierer – müssten doch alle sein.

Traurige Bilder aus der Vergangenheit erreichen mich.

Willkür – eine Kur das Schreiben. Die notwendige Einsamkeit ist verlockend. In der Runde zusammengeflickt – eine Masche in die andere verhakt – entstehen neue Muster.

„Glaubst du an Wiedergeburt?“

„Nein. Manchmal ja. Aber das Vergangene bleibt unangetastet. Meine Gedanken suchen sich Halt. Ich glaube, alles ist Glaube. Warum fragst du mich?“

„Weil ich daran glaube.“

„Möchtest du davon sprechen?“

„Vielleicht. Mit dir könnte ich es.“

„Woher kommt das Vertrauen?“

„Ich habe viele hässliche Erfahrungen gemacht. Du scheinst echt zu sein. Dein Schreiben hat mich erreicht.“

„Wir müssen nicht reden. Hast du Angst?“

„Ja, sehr oft. Ich lese heimlich, was du geschrieben hast. Deinen Mut bewundere ich.“

Gespräche münden in Schweigsamkeit. Dichtung verschließt und öffnet eine Lichtung. Schwarze Schatten liegen auf meiner Haut. Eine Hummel fliegt am Fenster vorbei. Die Katzen bekommen Haferbrei.

Fern von Freiheit stehen Hasströpfchen in der Luft. Ich atme flach, der Wind ist mir zu kalt – trotz herbstlichem Sonnenschein.

Ich lasse vernünftig schreiben. Ich vernehme und lasse es bleiben. Mit dem eigenen Leib – ein schlummerndes Kätzchen auf den Beinen.

„Was ist nun mit deinem Roman?“

„Ich arbeite daran. Ich fühle mich leer. Vielleicht wird dieser Zustand die beste Grundlage für echte Dichtung sein. Meine Phantasie ist angeschlagen. Ich habe Angst um sie. Der Medienwald lässt mir keine Ruhe. Möglicherweise werde ich nie einen richtigen Roman schreiben.“

„Aber was ist schon ein richtiger Roman?“

„Dichtung. Erdachtes. Eine Komposition des Denkens.“

„Alles Schreiben hat damit zu tun.“

„Sicher, ja. Aber die Gattung Roman hat eine bestimmte Geschichte. Die werde ich nicht aufgreifen können. Ich lebe heute. Meine Dichtung bezieht ihren Stoff aus der Wirklichkeit.“

„Die Wirklichkeit ist alles – auch Romanautoren leben daraus.“

„Ja, eigentlich ist alles sehr romantisch – wie auch immer.“

„Die Romantik liegt hinter uns. Aber die Worte berühren unsere Zungen.“

„Ich möchte sehr gerne einen richtigen Roman schreiben.“

„Dann tust du es auch!“

„Ja, möglicherweise im nächsten Jahr – in den nächsten Jahren. Wenn ich meine Existenz ausgepolstert finde.“

„Die Beharrlichkeit ist unsere einzige Chance.“

Gespräche beschäftigen meinen Geist. Die Personen für einen Roman lassen auf sich warten. Meine Persönlichkeit muss sich spalten, um immer neu zusammenzufinden – dies passiert, wenn ich einen Roman schreibe. Es wird passend sein – immer, wenn ich schreibe. Brauche ich den Arbeitstitel

„ROMAN“?

Kein Titel, nein, er wird aus sich selbst bestehen. Ich baue kein Kompostsilo – der Haufen braucht keinen Rahmen aus Holz. Damit erspare ich mir störende Arbeit.

In dem Moment, wo der Erfolg ausbleibt, schreibe ich erfolgreich.

Die Eroberung eines Kontinents muss mit einem Trugschluss enden. Die Erde dreht sich – um die eigene Achse – um die Sonne ... Eine Reise findet ohne Unterbrechung statt. Mit der Natur leben – die Natur des Menschen kreist möglicherweise scheinbar und wirklich zugleich um alles. Im Licht auf der Bühne stehen – doch die Bühne ist überall. Theater beschränken sich auf eine kleine Welt. Die Fliege beschränkt sich auf die Welt in unserer Küche. Die Katzen sitzen einander gegenüber und lauern knurrend – wo wird die Grenze des Reviers enden? Verteidigung und Gegenwehr – ein ewiges Hin und Her – das Meer mit seinen Gezeiten schleppt Sand herbei, Muscheln und Knochen, Dosen und Ölflecken – nimmt es mit und bringt es wieder – hierhin, dahin, dorthin – von daher, dorther – hierher.

Es bleibt alles eine Wahl der Worte. Die Information im Wort ist offen.

„Du philosophierst immer nur. Aber Konkretes, das magst du nicht. Mit dir kann man nichts anfangen!“

„Ja, Bruder aller Brüder – fange es selbst an, ohne mich!“

Ein altes gebrauchtes Tempotaschentuch landet auf dem Boden. Der graue Kater kommt gelaufen und rollt die zusammengeklebte Papierkugel durch den Flur, dann beißt er locker hinein und trägt sie hinter einen Sessel, reißt sie auseinander, hält sie dabei mit beiden Vorderpfoten fest.

„Ding dong ...“

Der Postbote bringt eine Eilsendung.

Das Ticken eines Metronoms wird von leisem Klavierspiel begleitet. Weiter, weiter, immer weiter – es tickte, es hat getickt, es hatte getickt, es wird getickt haben, es tickt.

„Es gibt noch einige grundsätzliche Probleme, die ich klären muss, bevor ich einen Roman schreibe.“

„Die Luft ist diesig, aber es wird klare Nächte geben.“

Ein Sonnenblick durch den Essigbaum ...

Die Probleme offenbaren sich, Respekt wird zum Motor der Geduld – Hochachtung den geduldigen Katzen!

 

Stillstand

 

nur scheinbar. Es ist Herbst geworden – ohne mich, mit mir.

Winde erreichen mich und bringen die Öffnung im Herzen zum Greifen nahe – mir, die ich schreiben werde. Alle Reibung glättet sich durch die Wiedererlebniswelt der Vergangenheit. Nicht wiedergeboren, nicht auferstanden, nicht vergessen, was war – es geht weiter:

 

Stille mit Klängen

aus dem Nichts,

das Alles ist.

 

 

 

geschrieben im Sommer 1991

© 2001 Jutta Riedel-Henck