Stillstand
Beruf
Einsamkeit
Magie
Jungfrau
Leid klagen
Faulsein
juttarh04

Inzwischen habe ich mich beruhigt.

Ich lachte und ärgerte mich, ich heulte und hasste mich, ich liebte und verachtete mich – durcheinander. Die Luft ist noch immer nicht rein. Ich bin und bleibe unruhig, zwinge mich zu äußerster Ruhe. Lese. Arbeite. Kopfarbeite. Denkarbeite. Fühlarbeite. Fühlausstreckarbeite – einziehen, schnell wieder einziehen – sie fühlen Unanständiges. In mich gucken – geht nicht. Die Richtung von innen nach außen. Von außen nach innen nur ausgewählter Art. Nicht alles, nur wenig darf hier rein. Kaum etwas. Meine Seele. Sie blutete. Alles verdreckt. Ein Sturm im Wasser mit dick roten Blutkörpern, aufgeschwemmt, aufgedunsen von giftwolkigen Dünsten in meinem Haus. Alle Fenster waren dicht. Alle Fenster waren offen. Alle Mauern eingerissen. Ich baute, ich hasstete, ich hasste um die Wette, ich zerstörte – Alles – ich baute wieder und wieder, und immer wieder brachen sie zusammen – Mauern – nein, denn das ist eigentlich nicht meine Art, mein Wunsch. Eine Verwünschung. Zugekleistert des Schutzes wegen, angeekelt vom Geruch des Baustoffes – Chemie – aufgesammelt im alten Testament – Drogen – durchgekaut durch Münder faulender Intimsphären – im weitern –

ICH HASSE.

 

So lange hatte ich mir gewünscht, endlich wieder hassen zu können. Zu weich, immer wieder. Der Hass wurde zu Knäuel verwunschener Seelenkälte, kochend, überlaufend bei all der Bewegung – des Umbauens, des Abbauens, des Überbauens – des Einebnens, des Unterbauens, des Suchens – des Findens – des Aufbauens, des Abtauens, des Frierens und der Kälte im Licht feuriger Ungeheuer – Abenteuer im Wind – Brückenläufe im Sturm zugefahrener Hochstraßen, zerstunken und verkocht im Nebel verkohlter Rauchleichen – Töte und Tote und lehmbegossene Erde. Keine Luft zum Atmen, keine Lust zu atmen, keinen Drang zu leben, keinen Drang zu sterben, aber – tot zu sein. Immer wieder. Es taut etwas auf. Der Schnee ist verflossen. Die Angst ist vergossen. Sie brütet nicht mehr einzig, sie brütet nicht mehr eilig, sie hat Zeit bekommen, lange Zeit – im wahrsten Sinne des Wortes, dem Wort im Wort im Wiederwort, dem Wort in Wörtern, den Wörtern im Wort.

Die Heizung gluckert. Das Wasser, das warme, erfährt neue Aufgedunsenheit – Blasen im Ventil, die Öffnung groß genug – nur der Druck – ist zu klein, zu schwach – zu wenig Hinterhalt, zu wenig Haltung, zu wenig halt – zu wenig.

Kein Haus mehr – eine Hütte.

Keine Fenster mehr – offene Ruinen.

Kein Halt mehr – offene Mauern –

Rieselsand am Rand der Festung.

Ein Traum?

 

Nein. Kein Traum.

Die Wahrheit.

 

Wer mag noch daran festhalten?

Er wird abrutschen. Unweigerlich. Und Schutt mit sich ziehen, Sand bröseln lassen, Steine fallen, Trockenheit spürend, erlebend, – Abstand halten.

Und träumen.

Vergötterung. Vergötterung einer Ruine zum Palast.

Welch eine Unverschämtheit.

All eure Phantasien. Ich hasse sie.

Vergewaltigungsängste.

 

Wie könnt ihr mich verehren, wenn ich in Scherben vor euch liege? Die Scherben leuchten. Im Glanz der Sonne. Nicht ich, die Sonne scheint, nicht ich, die Sonne gibt, nicht ich. Also lebe ich nur noch in der Nacht.

Am Tage verziehe ich mich hinter Vorhängen dunkler Regenwolken. Nur abends gehe ich aus dem Haus. Jedes Licht meidend – in das ihr, nur ihr mich immer wieder stellen wollt. Könnt ihr nicht einmal im Dunkeln sein? Könnt ihr nicht einmal die Schnauze halten und einfach im Dunkel sein?

Könnt ihr nicht einmal – einfach nur sein?

 

Nein.

Statt dessen hinterrücks Gerede, Gelabere, Lobduseleien – Falschheiten, Träumereien und Hinterlist in allen Ecken.

Wie ich euch hasse.

Ja – ich hasse euch.

Feige Gesichter.

Fassaden mit muffigen Innenleben, stinkend aus allen Poren, poröse Kleidung aus Styropor und Plastik mit Hemdsärmeln und Satin und Pappe im verschämt versteiften Kragen – peinlich, wie peinlich!

Peinliche Gesichter.

 

Ein Politiker schreit.

Wie peinlich.

Sänge er wenigstens.

Aber er schreit.

Schreitet schreitig von der Bühne.

Hochroten Kopfes – Hysteriebefleckt im Gesicht

ergibt er sich über die Menge.

Die aber

schweigt.

Schweigt immer noch.

Erst am Ende

als alles schweigt

steht plötzlich einer auf

und

alles geht.

 

Leise Stimmen werden wach.

Leise Stimmen werden laut.

Leise Stimmen stimmen an

ein Lied

leise und

verhalten

ein Lied der Vergangenheit

im Rücken die

Vergangenheit

Kummer

Leid

Schmerz

 

Der Herr aber

in dem schwarzen Anzug

oder war er grau?

er leidet unter der

Scham

des Verletztseins

durch sie –

die Verletzten

die wirklich

Verletzten.

 

Welch Gram

welch Graus

welch Ekel

mich befällt

beim Anblick

eines solchen

Politikers.

 

Ich hasse euch.

Die ihr schweigend

dem Politiker

den Rücken beugt –

nach hinten –

die Nase in den Himmel

die Augen abwendend

vom Rot

der verschämten

Garde

der

sozialpädagogischen

der sozialpathologischen

der

sozialtitulierten

Titelverteidiger

verkaufter Ehre

erkaufter Scham

vor ihm

vor ihm

vor ihm

diesem

dreckigen

verlogenen

hinsterbenden

WEM?

Ihr wisst es.

Ihr wisst genau

wen ich meine.

 

Ich aber werde nicht sagen

was ihr zu sagen

nie im Stande seid

ihr

die ihr euch

einbuttert

und beschmiert

mit dem

heimlichen Blut

angeblicher Brüder –

Brüder –

kennt ihr die noch?

zur Sonne – ha!

zur Freiheit – ha!

HA!

Hassen.

 

Ihr hasst die Sonne.

Ihr hasst die Freiheit.

Ihr hasst mich –

weil ich die Freiheit habe

euch zu sagen,

dass ich euch

hasse

in allen Ehren

sollte ich euch

das wirklich einmal sagen.

 

Statt dessen aber

bin ich bereit

und

spiele euch

den Sündenbock –

die Sündenböckin

Obwohl ich euch hasse

hasse ich mich

lasse mich hassen

lasse mich führen

von eurem Hass

gegen mich

gegen

immer wieder gegen.

 

Ich aber liege da –

in Scherben

Habe keine Angst mehr

zu reflektieren

nachdem ich

alles

in mich rein

fraß

bis sie platzte –

sie –

die Flasche –

ich

meine Hülle –

sie – meine Seele

aus allen Nähten

die sterbliche Hülle

von sich weisend

den Körper

die Flasche

 

Entkorkt

habe ich sie

erst nachher.

 

Ein loser Flaschenhals

wirbelte im nächtlichen Sturm

am Fenster eines

alten Raben

vorbei

weise genug

ihn nicht aufzuhalten

doch

selbst dort entdeckte er

einen restlichen Wert.

 

Der Korkenzieher

ein Geschenk von ihm

liegt warm

in meiner Garderobe

ein sanftes Spielzeug

ein Hauch von

schwarzem Federgeruch.

Ich liebe diesen Duft

der selbst bei Mondlicht

sich nicht zu steinigen Wüsten

hingezogen fühlt.

Immer wieder zieht er

an meinem Fenster

vorbei.

An meinem Fenster

einem Fenster

einem endlichen Fenster

das sein darf

aber nicht muss

das nur so lange ist

wie es regnet

und ich nicht weiß

ob es

ob

 

noch weiß ich nicht

wessen Regen

mir da

entgegengekommen ist.

Eine Seele.

Eine ganz fremde Seele.

Eine Seele die weint –

dort drüben

ganz allein

im Mondenschein

doch

ich werde

bei dir sein

im Mondenschein

als Sonnenschein

im Leben

im Lieben

 

mit aller Kraft den Hass verwandelnd

dich zur Liebe

zu bewegen

zum Leben

zu geben

aller Weichheit

deiner Weisheit

deines weichen Glanzes

auf der Sonne

und nur sie wird ihn

widerspiegeln

diesen Glanz

deinen Glanz

ihren Glanz

nur die Trauer

sie alleine

verblasst in aller Armut.

 

Ich glänze.

Glänze ich noch immer?

Scherben am Boden.

All das Glas möge stumpf werden.

Möge sich im Meer zu Steinen kieselbärtiger Schaum-

kronen formen

Möge aufhören

endlich aufhören zu tarnen

die Schwäche.

„Mach dich nicht kleiner als du bist.“

 

MACH MICH NICHT GRÖSSER ALS ICH BIN!

 

 

Ich schreie

Ich schreibe

doch ihr hört mich nicht.

 

Schweigt nur.

Dahinter schwelgen Krankheiten größter Armut.

Pervers – wer da noch mit Begehren mir

gegenübertreten kann

gehoben – mit rotem Kopf

und verkrampfter Nackenmuskulatur

aus größtem Abstand

feige

unausgekoren

abgedroschen

erkaltet

 

fad!

 

Ekel überfällt mich beim Gedanken an eure Körper.

 

 

Haltlos, wie ihr ihnen nie gewachsen seid. Körper um Körper toter Seelenbeziehungen – totes Verlangen nach fremdem Geist – die eigene Seelenkluft von sich reißend, mir entgegen ins Schlafzimmer, dessen Tür ich immer wieder vor euch verschließen werde!

Ihr habt sie nicht verdient – meine Wärme.

Ich habe sie nicht verdient – eure Kälte.

Nicht ich bin es, die glänzt – vor Kälte.

Ihr seid es, die modert – vor Wärme – Fäulnis – nichts als faulende Kälte, die aneinanderreibend zu stinkenden Wärmewirbelklumpen erstarrt – ausgerotzt von gierigen Blicken, lüsternen Gebärden – abgeschnitten vom eigentlichen Leib. Ein Phallus – vorgestreckt und anbiedernd mit hechelnden Atemzügen, Hundeaugen und Pferdewiehern – jeder Zuchthengst – jedes Tier ist frei von solch armseliger Mutation –

 

die Mutation Mensch – die Mutation

Mann – die Mutation Frau –

Mutanten, die technisch versiert im Handumdrehn den Stöpsel aus dem Waschbecken, die Zigarettenkippe in den Abfluss werfen – mal eben – denn selbst auf dem Klo will Mutation das Rauchen in aller Eitelkeit mit dem Ritual täglicher Entgiftung zu einer überflüssigen Erscheinung kreieren, d. h. vereiteln. Sonst noch jemand Probleme?

Na – dann gibt es doch schließlich all die netten Bücher. Wie zeig ich’s meinem Kind, wie sag ich’s ihm, dass ich es aufklären muss, aber nicht kann, weil ich erst klären muss, ob ich darf oder kann, weil ich erst fragen muss, ob ich muss oder soll und überhaupt – Bücher, Zeitungen, Fernsehn, Lehrer – Fachidioten – Ficker vom Fach – Sexualpädagogen – Sexualität – Universität – Spiritualität – tät tät wenn tät ich nicht dann tät ich wohl und tät du nich dann tät ich tät oder tät däs est här dä Fräge.

 

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© 2002 Jutta Riedel-Henck