Inzwischen habe ich mich beruhigt.
Ich lachte und ärgerte mich, ich heulte und hasste mich, ich liebte und verachtete mich – durcheinander. Die Luft ist noch immer nicht rein. Ich bin und bleibe unruhig, zwinge mich zu äußerster
Ruhe. Lese. Arbeite. Kopfarbeite. Denkarbeite. Fühlarbeite. Fühlausstreckarbeite – einziehen, schnell wieder einziehen – sie fühlen Unanständiges. In mich gucken – geht nicht. Die
Richtung von innen nach außen. Von außen nach innen nur ausgewählter Art. Nicht alles, nur wenig darf hier rein. Kaum etwas. Meine Seele. Sie blutete. Alles verdreckt. Ein Sturm im Wasser mit dick roten
Blutkörpern, aufgeschwemmt, aufgedunsen von giftwolkigen Dünsten in meinem Haus. Alle Fenster waren dicht. Alle Fenster waren offen. Alle Mauern eingerissen. Ich baute, ich hasstete, ich hasste um die
Wette, ich zerstörte – Alles – ich baute wieder und wieder, und immer wieder brachen sie zusammen – Mauern – nein, denn das ist eigentlich nicht meine Art, mein Wunsch. Eine
Verwünschung. Zugekleistert des Schutzes wegen, angeekelt vom Geruch des Baustoffes – Chemie – aufgesammelt im alten Testament – Drogen – durchgekaut durch Münder faulender
Intimsphären – im weitern –
ICH HASSE.
So lange hatte ich mir gewünscht, endlich wieder hassen zu können. Zu weich, immer wieder. Der Hass wurde zu Knäuel verwunschener Seelenkälte, kochend, überlaufend bei all der Bewegung – des
Umbauens, des Abbauens, des Überbauens – des Einebnens, des Unterbauens, des Suchens – des Findens – des Aufbauens, des Abtauens, des Frierens und der Kälte im Licht feuriger Ungeheuer
– Abenteuer im Wind – Brückenläufe im Sturm zugefahrener Hochstraßen, zerstunken und verkocht im Nebel verkohlter Rauchleichen – Töte und Tote und lehmbegossene Erde. Keine Luft zum
Atmen, keine Lust zu atmen, keinen Drang zu leben, keinen Drang zu sterben, aber – tot zu sein. Immer wieder. Es taut etwas auf. Der Schnee ist verflossen. Die Angst ist vergossen. Sie brütet nicht
mehr einzig, sie brütet nicht mehr eilig, sie hat Zeit bekommen, lange Zeit – im wahrsten Sinne des Wortes, dem Wort im Wort im Wiederwort, dem Wort in Wörtern, den Wörtern im Wort.
Die Heizung gluckert. Das Wasser, das warme, erfährt neue Aufgedunsenheit – Blasen im Ventil, die Öffnung groß genug – nur der Druck – ist zu klein, zu schwach – zu wenig
Hinterhalt, zu wenig Haltung, zu wenig halt – zu wenig.
Kein Haus mehr – eine Hütte.
Keine Fenster mehr – offene Ruinen.
Kein Halt mehr – offene Mauern –
Rieselsand am Rand der Festung.
Ein Traum?
Nein. Kein Traum.
Die Wahrheit.
Wer mag noch daran festhalten?
Er wird abrutschen. Unweigerlich. Und Schutt mit sich ziehen, Sand bröseln lassen, Steine fallen, Trockenheit spürend, erlebend, – Abstand halten.
Und träumen.
Vergötterung. Vergötterung einer Ruine zum Palast.
Welch eine Unverschämtheit.
All eure Phantasien. Ich hasse sie.
Vergewaltigungsängste.
Wie könnt ihr mich verehren, wenn ich in Scherben vor euch liege? Die Scherben leuchten. Im Glanz der Sonne. Nicht ich, die Sonne scheint, nicht ich, die Sonne gibt, nicht ich. Also lebe ich nur noch in
der Nacht.
Am Tage verziehe ich mich hinter Vorhängen dunkler Regenwolken. Nur abends gehe ich aus dem Haus. Jedes Licht meidend – in das ihr, nur ihr mich immer wieder stellen wollt. Könnt ihr nicht einmal im
Dunkeln sein? Könnt ihr nicht einmal die Schnauze halten und einfach im Dunkel sein?
Könnt ihr nicht einmal – einfach nur sein?
Nein.
Statt dessen hinterrücks Gerede, Gelabere, Lobduseleien – Falschheiten, Träumereien und Hinterlist in allen Ecken.
Wie ich euch hasse.
Ja – ich hasse euch.
Feige Gesichter.
Fassaden mit muffigen Innenleben, stinkend aus allen Poren, poröse Kleidung aus Styropor und Plastik mit Hemdsärmeln und Satin und Pappe im verschämt versteiften Kragen – peinlich, wie peinlich!
Peinliche Gesichter.
Ein Politiker schreit.
Wie peinlich.
Sänge er wenigstens.
Aber er schreit.
Schreitet schreitig von der Bühne.
Hochroten Kopfes – Hysteriebefleckt im Gesicht
ergibt er sich über die Menge.
Die aber
schweigt.
Schweigt immer noch.
Erst am Ende
als alles schweigt
steht plötzlich einer auf
und
alles geht.
Leise Stimmen werden wach.
Leise Stimmen werden laut.
Leise Stimmen stimmen an
ein Lied
leise und
verhalten
ein Lied der Vergangenheit
im Rücken die
Vergangenheit
Kummer
Leid
Schmerz
Der Herr aber
in dem schwarzen Anzug
oder war er grau?
er leidet unter der
Scham
des Verletztseins
durch sie –
die Verletzten
die wirklich
Verletzten.
Welch Gram
welch Graus
welch Ekel
mich befällt
beim Anblick
eines solchen
Politikers.
Ich hasse euch.
Die ihr schweigend
dem Politiker
den Rücken beugt –
nach hinten –
die Nase in den Himmel
die Augen abwendend
vom Rot
der verschämten
Garde
der
sozialpädagogischen
der sozialpathologischen
der
sozialtitulierten
Titelverteidiger
verkaufter Ehre
erkaufter Scham
vor ihm
vor ihm
vor ihm
diesem
dreckigen
verlogenen
hinsterbenden
WEM?
Ihr wisst es.
Ihr wisst genau
wen ich meine.
Ich aber werde nicht sagen
was ihr zu sagen
nie im Stande seid
ihr
die ihr euch
einbuttert
und beschmiert
mit dem
heimlichen Blut
angeblicher Brüder –
Brüder –
kennt ihr die noch?
zur Sonne – ha!
zur Freiheit – ha!
HA!
Hassen.
Ihr hasst die Sonne.
Ihr hasst die Freiheit.
Ihr hasst mich –
weil ich die Freiheit habe
euch zu sagen,
dass ich euch
hasse
in allen Ehren
sollte ich euch
das wirklich einmal sagen.
Statt dessen aber
bin ich bereit
und
spiele euch
den Sündenbock –
die Sündenböckin
Obwohl ich euch hasse
hasse ich mich
lasse mich hassen
lasse mich führen
von eurem Hass
gegen mich
gegen
immer wieder gegen.
Ich aber liege da –
in Scherben
Habe keine Angst mehr
zu reflektieren
nachdem ich
alles
in mich rein
fraß
bis sie platzte –
sie –
die Flasche –
ich
meine Hülle –
sie – meine Seele
aus allen Nähten
die sterbliche Hülle
von sich weisend
den Körper
die Flasche
Entkorkt
habe ich sie
erst nachher.
Ein loser Flaschenhals
wirbelte im nächtlichen Sturm
am Fenster eines
alten Raben
vorbei
weise genug
ihn nicht aufzuhalten
doch
selbst dort entdeckte er
einen restlichen Wert.
Der Korkenzieher
ein Geschenk von ihm
liegt warm
in meiner Garderobe
ein sanftes Spielzeug
ein Hauch von
schwarzem Federgeruch.
Ich liebe diesen Duft
der selbst bei Mondlicht
sich nicht zu steinigen Wüsten
hingezogen fühlt.
Immer wieder zieht er
an meinem Fenster
vorbei.
An meinem Fenster
einem Fenster
einem endlichen Fenster
das sein darf
aber nicht muss
das nur so lange ist
wie es regnet
und ich nicht weiß
ob es
ob
noch weiß ich nicht
wessen Regen
mir da
entgegengekommen ist.
Eine Seele.
Eine ganz fremde Seele.
Eine Seele die weint –
dort drüben
ganz allein
im Mondenschein
doch
ich werde
bei dir sein
im Mondenschein
als Sonnenschein
im Leben
im Lieben
mit aller Kraft den Hass verwandelnd
dich zur Liebe
zu bewegen
zum Leben
zu geben
aller Weichheit
deiner Weisheit
deines weichen Glanzes
auf der Sonne
und nur sie wird ihn
widerspiegeln
diesen Glanz
deinen Glanz
ihren Glanz
nur die Trauer
sie alleine
verblasst in aller Armut.
Ich glänze.
Glänze ich noch immer?
Scherben am Boden.
All das Glas möge stumpf werden.
Möge sich im Meer zu Steinen kieselbärtiger Schaum-
kronen formen
Möge aufhören
endlich aufhören zu tarnen
die Schwäche.
„Mach dich nicht kleiner als du bist.“
MACH MICH NICHT GRÖSSER ALS ICH BIN!
Ich schreie
Ich schreibe
doch ihr hört mich nicht.
Schweigt nur.
Dahinter schwelgen Krankheiten größter Armut.
Pervers – wer da noch mit Begehren mir
gegenübertreten kann
gehoben – mit rotem Kopf
und verkrampfter Nackenmuskulatur
aus größtem Abstand
feige
unausgekoren
abgedroschen
erkaltet
fad!
Ekel überfällt mich beim Gedanken an eure Körper.
Haltlos, wie ihr ihnen nie gewachsen seid. Körper um Körper toter Seelenbeziehungen – totes Verlangen nach fremdem Geist – die eigene Seelenkluft von sich reißend, mir entgegen ins
Schlafzimmer, dessen Tür ich immer wieder vor euch verschließen werde!
Ihr habt sie nicht verdient – meine Wärme.
Ich habe sie nicht verdient – eure Kälte.
Nicht ich bin es, die glänzt – vor Kälte.
Ihr seid es, die modert – vor Wärme – Fäulnis – nichts als faulende Kälte, die aneinanderreibend zu stinkenden Wärmewirbelklumpen erstarrt – ausgerotzt von gierigen Blicken,
lüsternen Gebärden – abgeschnitten vom eigentlichen Leib. Ein Phallus – vorgestreckt und anbiedernd mit hechelnden Atemzügen, Hundeaugen und Pferdewiehern – jeder Zuchthengst –
jedes Tier ist frei von solch armseliger Mutation –
die Mutation Mensch – die Mutation
Mann – die Mutation Frau –
Mutanten, die technisch versiert im Handumdrehn den Stöpsel aus dem Waschbecken, die Zigarettenkippe in den Abfluss werfen – mal eben – denn selbst auf dem Klo will Mutation das Rauchen in
aller Eitelkeit mit dem Ritual täglicher Entgiftung zu einer überflüssigen Erscheinung kreieren, d. h. vereiteln. Sonst noch jemand Probleme?
Na – dann gibt es doch schließlich all die netten Bücher. Wie zeig ich’s meinem Kind, wie sag ich’s ihm, dass ich es aufklären muss, aber nicht kann, weil ich erst klären muss, ob ich
darf oder kann, weil ich erst fragen muss, ob ich muss oder soll und überhaupt – Bücher, Zeitungen, Fernsehn, Lehrer – Fachidioten – Ficker vom Fach – Sexualpädagogen –
Sexualität – Universität – Spiritualität – tät tät wenn tät ich nicht dann tät ich wohl und tät du nich dann tät ich tät oder tät däs est här dä Fräge.
zurück auf Seite 1
© 2002 Jutta Riedel-Henck
|