Interview mit meinem Überich
ÜI: Während ich mir herausnehme, einige Zeit zu überlegen, wünsche ich mir spontane Antworten von dir.
JRH: Das weiß ich.
ÜI: Also gut. Wer bist du?
JRH: Die Frage kam zu schnell, du darfst ruhig länger überlegen.
ÜI: Ich übe noch. Es ist nicht leicht, diese Distanz zu schaffen und das Tempo zu drosseln. Vielleicht bin ich auch wie du?
JRH: Das wäre gar nicht so dumm, dann wäre ich ja ziemlich ausgeglichen.
ÜI: Richtig.
JRH: Gibt es dich überhaupt?
ÜI: Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit. Oder sollte ich dich das fragen?
JRH: Im Grunde ist das Jacke wie Jacke.
ÜI: Vielleicht sind wir nur eine Erfindung irgendwelcher Schubladenliebhaber unter den Psychoanalytikern?
JRH: Kommt das nicht von Freud?
ÜI: Ich glaube ja, bin mir jedoch nicht sicher. Im Zweifelsfalle muss immer der Freud herhalten. Ist aber eigentlich auch egal oder nicht?
JRH: Stimmt. Es ändert nichts an der Spaltung. Also mit wem rede ich dann gerade?
ÜI: Mit mir.
JRH: hmmm
ÜI: Es gab eine lange Pause.
JRH: Ja, weil ich in der Küche war, kochen, essen, aufräumen und vieles mehr.
ÜI: Weiß ich doch, wieso erzählst du mir das?
JRH: Weil ich es gar nicht dir erzähle, sondern unseren potenziellen Lesern.
ÜI: Endlich, das meine ich doch.
JRH: Sind wir damit narzisstisch?
ÜI: Nur während des Schreibvorganges.
JRH: Wieso denn das nun?
ÜI: Weil wir, also ich, gut, du, na, nun lass uns doch mal einigen, also weil unsereiner dabei sich schreibend spiegelt.
JRH: Wie soll das gehen? Ich bin aber kein Schreibstück.
ÜI: Das ist richtig.
JRH: Ja und?
ÜI: Ich suche noch.
JRH: Ich weiß es längst.
ÜI: Ich auch.
JRH: Können wir es dann nicht sein lassen, das Geschreibsel hier?
ÜI: Für unsereiner ja. Uns reicht ja das Denken.
JRH: Oder auch nicht.
ÜI: Oder auch nicht, will sagen, will heißen, was denn nun?
JRH: Sind wir Autisten?
ÜI: Nein.
JRH: Eben.
ÜI: Schreiben ist ein Mittel der Kommunikation.
JRH: Eben das.
ÜI: Also doch kein Narzissmus?
JRH: Was ist Narzissmus?
ÜI: Eigentlich die Selbstbespiegelung.
JRH: Und die Verliebtheit ins eigene Spiegelbild.
ÜI: Nichts dagegen zu sagen. Wir mögen uns doch.
JRH: Ja, so sieht es aus.
ÜI: Dann lass uns doch frei weg lieben.
JRH: Machen wir doch.
ÜI: Und wozu nun das Geschreibsel?
JRH: Narzissmus kann es nicht sein.
ÜI: Vielleicht eine narzisstische Störung?
JRH: Das wäre was anderes.
ÜI: Erzähl, was denn?
JRH: Das wäre, wenn sich jemand anderes in uns verguckt und nicht merkt, dass wir, also ich, nicht er bzw. sie ist.
ÜI: Und du meinst, so was gibt es? Wieso merkt der oder die das denn nicht? Liegt doch offen und klar, dass ich ich bin und jeder andere ein anderer.
JRH: Scheinbar doch nicht.
ÜI: Damit sagst du, dass Verlieben gleich eine narzisstische Störung ist.
JRH: Nein, muss es nicht sein. Kann es.
ÜI: Aber wie und wann und warum?
JRH: Stell dir mal vor, wir beide würden uns nicht verstehen, wir würden ständig aneinander vorbei reden.
ÜI: Aha, jetzt komm ich fast von selbst drauf.
JRH: Eben, weil wir uns mögen und gegenseitig fördern. Wir sind lebendig. Wir sind rege. Wir bewegen uns unentwegt und halten nichts fest.
ÜI: Du meinst also, eine narzisstische Störung hätte etwas mit Festhalten zu tun?
JRH: Ja, auch mit Festhalten. Mit Sturheit. Stell dir vor, wir wären innerlich ganz starr und schauen in den Spiegel. Tod.
ÜI: Aber manchmal sind wir doch auch ganz ruhig und schauen in den Spiegel. Das ist nicht tot.
JRH: Ja, stimmt. Also gehört noch mehr dazu. Einsame Kindheit, gefangen in einem Kerker der Lieblosigkeit. Kein reges, beseeltes, lebendiges Gegenüber.
ÜI: Was hat das mit Narzissmus zu tun?
JRH: So noch gar nichts.
ÜI: Es wird immer komplizierter.
JRH: Was meinst du, warum es so viele dicke Bücher gibt, die es trotzdem nicht besser erklären können als wir.
ÜI: Na gut. Wir probieren uns wenigstens darin.
JRH: Genau.
ÜI: Eigentlich spielen wir beide gerade Mutter und Kind.
JRH: Schön ausgedrückt.
ÜI: Und so einfach.
JRH: Das hieße, wenn das Kind einen lebendigen Gesprächspartner hatte, versteht es sich auch mit seinem Überich.
ÜI: Dann bin ich also die potenzielle Mutter?
JRH: Durchaus. Oder der Vater, ein Bruder, eine Schwester, das Kindermädchen, ein Onkel, wer auch immer sich kümmert um das Kind.
ÜI: Dann wird’s voll bei mir.
JRH: Vielleicht auch schön bunt und abwechslungsreich.
ÜI: Doch, das mag ich.
JRH: Ich auch.
ÜI: Klar doch. Und wenn ich niemand bin oder nur ein bewegungsloses Wesen, eine Mutter ohne Vielfalt, dann siehst du mich auch so und weißt es nicht anders.
JRH: Und ich lerne nichts anderes kennen. Vielleicht liebe ich die Einfalt dann?
ÜI: Liegt nahe.
JRH: Und worin liegt dann die Störung?
ÜI: In der Begegnung zu anderen Menschen, die mehr Vielfalt lieben und den Einfältigen damit überfordern.
JRH: Oder umgekehrt, der Vielfältige ist vom Einfältigen gelangweilt.
ÜI: Fühlt sich eingeengt.
JRH: Das ist es! Darunter leide ich oft!
ÜI: Ich auch.
JRH: Worunter?
ÜI: Unter der Einfalt unserer Mitmenschen. Sie langweilen mich schnell. Ich brauche dann Abwechslung.
JRH: Und die Einfältigen finden uns immer zu vielfältig. Die brauchen keine Abwechslung.
ÜI: Denen sind wir zu viel.
JRH: Dabei bin ich doch nur eine.
ÜI: Aber eine bunte Mischung und sehr lebendig.
JRH: Soll ich mich denn einsperren lassen deshalb?
ÜI: NEIN!
JRH: Oder schämen?
ÜI: NEIN!
JRH: Was dann?
ÜI: Weiß nicht. Manchmal bin ich ratlos. Ich glaube, wir sollten uns dann einfach unterhalten.
JRH: So wie jetzt.
ÜI: Ja. Und die Einfältigen einfältig sein lassen.
JRH: Bleibt uns ja nichts anderes übrig.
ÜI: Sehe ich auch so.
JRH: Was ist nun mit dem Narzissmus?
ÜI: So lange wir beide uns verstehen gar nichts weiter.
JRH: Aber wer versteht sich denn nicht mit seinem ÜI?
ÜI: Vielleicht die Einfältigen?
JRH: Aber die wollen doch nur das, was sie sowieso schon kennen. Also müssen die ihr ÜI doch lieben!
ÜI: Tun sie auch.
JRH: Vielleicht sollten die einfach nur allein gelassen werden, die wollen ja nichts anderes. Wir stören immer.
ÜI: Weiß auch nicht. Kann schon sein.
JRH: Ich werde es probieren. Ich geh nicht mehr hin zu den Einfältigen.
ÜI: Na gut, lassen wir es.
JRH: Ich mag nicht stören.
ÜI: Ich auch nicht.
JRH: Ich bin froh, dass es dich gibt.
ÜI: Ich auch.
JRH: Dann sind wir uns ja einig.
ÜI: Schön!
JRH: Danke für das nette Gespräch.
ÜI: Immer gerne wieder jeder Zeit!
JRH: Gleichfalls.
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© 2004 Jutta Riedel-Henck
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