Jutta Riedel-Henck, Biografie?
Am 22. Juli 1961 (9 Uhr 51 MEZ) in Aachen geboren, seit dem fünften Lebensjahr in Bremen aufgewachsen, Studium der Musikwissenschaft und Pädagogik in Hamburg, lebe ich heute mit Mann und Tochter in
einem kleinen Dorf zwischen Zeven und Bremervörde.
Das Leben war mir bis heute Lehrmeister, fern öffentlicher Verdienste und Anerkennungen, reich an Herausforderungen und Aufgaben. Ob ich eine Schriftstellerin bin, frage ich mich täglich von Neuem.
Schreiben ohne Leben eine Unmöglichkeit – Leben ohne Schreiben durchaus denkbar.
Warum ich schreibe und für wen? Ich weiß es nicht. Es kommt von irgendwo her, ein Bedürfnis, etwas in Worte zu fassen, um die Welt der Worte aufzurühren, zu lüften und überlieferte Sprachkonzepte in
Frage zu stellen. So oft ich auch das Wort »ich« benutze, bin ich doch nicht ich oder habe mich zumindest nicht im Griff. Ein Werkzeug, eine Dienerin, ein Medium, das zu verantworten, verteidigen,
darzustellen hat, was nicht es selbst ist. Ich führe aus, einen Auftrag, viele Aufträge – ohne mich mit dem, was ich hiermit sage, aus der Verantwortung zu stehlen. Denn meinen Kopf halte ich
schon selbst dafür hin.
Schriftsteller der Gegenwart, berühmte, zählen nicht zu meinen Freunden. Ich suchte oft Kontakte, wurde aber fein schweigend ignoriert. Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Mut und Kraft schöpfte ich
nicht aus Lob oder Anerkennung, sondern alleine durch mich selbst, mein Tun und Handeln, das Leben. Viele Schriftsteller, deren Werke ich las, die ich im Fernsehen sah oder im Radio hörte, scheinen
Probleme zu haben: mit dem Leben. Stattdessen schreiben sie – vielleicht als Ersatz und Nährmittel realitätsferner Illusionen?
„Ich erschreib mir mein Leben“ – statt zu leben und davon zu schreiben.
Was ich schreibe, kommt von selbst. Kommt nichts von selbst, lasse ich es bleiben. Reingeistige Konstruktionen sind mir fremd. Das Leben ist zu kurz, um es durch leere Gedankenhülsen zu verbauen.
Vielleicht weckt diese innige Leidenschaft den Neid der weniger Lebendigen – ich weiß es nicht.
Wie dem auch sei. Hier bin ich, ohne große Vor-Worte. Alles steht für sich. Jeder Text ein Bild der Sprache, das den lesenden Betrachter in seinem eigenen Leben antrifft, ohne dies ersetzen oder
beeinflussen zu wollen. Wer sich dennoch von mir persönlich angegriffen fühlt, möge es bitte eine Weile mit sich selbst besprechen und reflektieren. Es wird ihn weiter bringen als der Umweg über
meine Person, die seine Empfindungen wohl geweckt, aber nicht verursacht haben kann.
Die meisten Menschen, die ich kenne, tragen eine Menge unterdrückter Wut in sich. Manchmal brauche ich nur dazustehen, und sie fühlen sich durch meinen Anblick provoziert, ihren lang gehegten Groll in
aggressive Taten zu verwandeln. Sie werfen mir z. B. vor, dass ich zu viel von mir selbst sprechen würde, das sei unsozial und egoistisch. Dass jeder Mensch nur er selbst sein kann, um von sich (aus) zu
sprechen, mögen sie nicht wahrhaben. Einsichten wie diese würden sie als mündigen Menschen herausfordern, ihr Handeln, Fühlen und Tun aus eigener Kraft zu verantworten. Ich habe oft und intensiv
unter solchen Angriffen gelitten, die ich nach wie vor für ungerechtfertigt halte. Darum bin ich so aufrichtig und sage, dass ich mir gehässige, übergreifende, mit fremdem Lebensgroll geladene
Kritiken nicht gefallen lasse. Ich bin nicht mehr oder weniger auf den Mund gefallen als der größte Kritiker-Papst oder -Gott. Kritik im Sinne von Krise, die lockert, ohne meine Person zu
kriminalisieren, ist dagegen herzlich willkommen.
© 2002 Jutta Riedel-Henck
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